Rektor Schmidt-Wulffen: "Das Künstlerbild hat sich derart geändert, dass man sich vom traditionellen Aufgabenbild der Kunstakademie verabschieden muss."

Foto: Standard/Akademie der bildenden Künste

Vizerektor Andreas Spiegl

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Nicht nur die Einführung des Bachelor, auch das erweiterte Betätigungsfeld des Künstlers in der Gegenwart bedingt neue Studienpläne: Rektor Stephan Schmidt-Wulffen und sein Stellvertreter Andreas Spiegl im Gespräch mit Thomas Trenkler über notwendige Reformschritte an der Akademie.

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STANDARD: Sie sind als Rektor mit dem Vorsatz angetreten, die Akademie tief greifend zu reformieren. Mit Ihren Ideen stoßen Sie aber nicht nur auf Gegenliebe. Warum tun Sie sich den Prozess eigentlich an?

Schmidt-Wulffen: Das Spektrum, in dem Künstler aktiv werden können, ist in den letzten Jahrzehnten derart breit geworden und das Künstlerbild hat sich derart geändert, dass man sich vom traditionellen Aufgabenbild der Kunstakademie verabschieden muss. Von der Zielsetzung her dürfen wir eben nicht mehr nur den Galeriekünstler im Auge haben!

Spiegl: Studien zufolge, die sich mit unseren Erfahrungen decken, reüssieren nur wenige Absolventinnen und Absolventen im klassischen Kunstmarkt. Ein Großteil dringt in alternative Berufsfelder vor. Diese Streuung nach dem Studium wollen wir in der Struktur des Hauses berücksichtigen. Die Kernaufgabe wird weiter in der Entwicklung und Erschließung der Künste liegen; aber daneben gibt es neue Aufgabenfelder, die zu reflektieren sind. Gerade die mehrstufige Bologna-Struktur mit Bachelor, Master und Doktorat bietet jungen Menschen die Möglichkeit, sich sukzessive zu vertiefen oder auch andere Schwerpunkte zu entwickeln. Das Bachelor-Studium ist vielleicht nur der Beginn, um sich künstlerisch für gesellschaftlich-politisch-kulturelle Agenden und Handlungsspielräume zu sensibilisieren.

STANDARD: Das bedeutet also Verschulung - um nachher mehr Freiheit zu haben?

Spiegl: Das Wort Verschulung folgt immer wie ein Reiz-Reaktionsmechanismus auf dieses Wort Bologna. Das stimmt natürlich nicht. Über den Grad der Verschulung entscheidet allein das Curriculum. Auch jetzt schon gibt es Studienpläne, die ganz genau definieren, wie viel Zeit für welche Inhalte zu widmen ist. Eine entscheidende Frage ist und bleibt daher, wie viel Zeit innerhalb des Curriculums dem Experimentieren gewidmet bleibt und wie hoch der Anteil für die Vermittlung bestimmter Grundlagen notwendig ist. Ich finde, dass die Akademie die Verantwortung gegenüber den Absolventen hat, eine bestimmte Qualität der Wissensvermittlung zu garantieren.

Schmidt-Wulffen: Die künstlerische Praxis ist durch die Einflüsse von Philosophie, Gesellschafts- und Institutionskritik äußerst komplex geworden. Man muss daher auch den Mut haben zu sagen: Ja, junge Menschen, die sich dieser schwierigen Aufgabe stellen wollen, haben auch die notwendigen Instrumente geboten zu bekommen. Die Verschulung wird immer gegen die Freiheit des Genies ins Feld geführt. Das ist ein Trugschluss! Einstein war ein Genie - dennoch hat er auch Algebra lernen müssen. Es ist unverständlich, warum man in dieser hoch differenzierten Wissensgesellschaft davon ausgeht, dass ausgerechnet die Künstler immer wieder das Rad von vorne erfinden.

Spiegl: Es wird sicher nicht so sein, dass alle in einer Schulklasse sitzen und ein Drittel des Curriculums Theorie hören. Theoretisch-wissenschaftliche Fragen werden integraler Bestandteil eines Produktionsbegriffes sein.

STANDARD: Bedeutet das auch, dass die Forschung selbst mehr Beachtung finden soll?

Schmidt-Wulffen: Forschung wird generell immer wichtiger. Und da ich auch für das Budget zuständig bin, ist mir Forschung ein besonderes Anliegen. Denn die Basisfinanzierung wird tendenziell zurückgefahren, die Mittel für die Forschung hingegen steigen. Eine Universität, die diese Entwicklung außer Acht lässt, stellt das Lenkrad auf Stagnation und Verarmung. Das wollen wir nicht. Zudem ist die Frage, wie Kunst an der Bildung von Wissen in dieser Gesellschaft teilnimmt, eine hoch politische. Wir glauben, dass der künstlerische Prozess eine eigene Form von Wissensproduktion darstellt. Das wollen wir erforschen.

Spiegl: Wir machen ein ganz neues Feld auf: Inwieweit kann auch die Kunst einen Beitrag in einer Forschungslandschaft leisten, wenn es um Fragen geht, die im Rahmen wissenschaftlicher Disziplinen allein nicht lösbar oder zumindest nicht artikulierbar sind? Die gegenwärtige Strömung hin zum Interdisziplinären und Transdisziplinären ist immer schon eine Kernkompetenz künstlerischer Praxis gewesen. Daher: Wie können wir gerade diese Sensibilität an den Grenzen der Disziplinen als fruchtbaren Beitrag, zum Beispiel über die Methodenkritik, in die Forschungsagenda einbringen?

STANDARD: Führt bei dieser Spezifizierung der Name nicht in die Irre? Man könnte die "Akademie der bildenden Künste" ja auch umbenennen...

Schmidt-Wulffen: Nein, wir sind sehr stolz auf die Tradition der Akademie. Die Forschung und das Öffnen dürfen natürlich nicht auf Kosten der traditionellen künstlerischen Gattungen gehen! Die künstlerische Lehre bleibt Basis der Praxis. Nur sehen wir die Praxis mit Ideen getränkt. Das Kunstwerk hat immer einen doppelten Sinn: Es ist Objekt - aber es steht auch für eine Ideenwelt. Es ist ein Modell für Denkformen. Das Exemplarische ist wichtig! Und das wird durch den Terminus "Akademie der bildenden Künste" getragen. Wir planen wegen dieses Praxisbezugs übrigens auch große Investitionen in die Werkstätten.

STANDARD: Das textile Gestalten wird aber aufgegeben. Unterwirft sich die Akademie nicht dem Zeitgeschmack?

Spiegl: Die Werkstatt bleibt erhalten, das textile Gestalten als Praxis wird weiter gelehrt. Wir lassen nur die spezielle Studienrichtung auslaufen. Denn wir können nicht die gesamte Palette aller Artikulationsformen auf höchstem Niveau anbieten.

Schmidt-Wulffen: Auch das mit dem Zeitgeschmack muss man relativieren. Natürlich soll die Akademie die Studierenden nicht für den Markt zurichten. Das ist eine Entwicklung, die wir in den USA derzeit beobachten können. Sie hat sicher katastrophale Folgen! Aber umgekehrt: Natürlich hat die Kunstakademie die Aufgabe, sich in ihren Curricula den Entwicklungen der künstlerischen Arbeit in größeren Zeiträumen anzupassen. Das Meisterklassenprinzip zum Beispiel gehorcht einem Kunstbegriff des 19. Jahrhunderts. Und wenn man sieht, was seit den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts durch Pop Art, Minimalismus, Konzeptkunst an Veränderungen im künstlerischen Rollenmodell entstanden ist, dann haben wir natürlich die Aufgabe, Curricula zu schaffen, die diesen Entwicklungen angepasst sind. Also: Eine Kunstakademie hat permanent Selbstkritik zu üben und zu bewerten, wie sich künstlerische Praxis langfristig verändert hat.

STANDARD: Ihnen wird hausintern vorgeworfen, dass Sie dem künstlerischen Lehramt zu wenig Beachtung schenken.

Schmidt-Wulffen: Wir werden drei Professuren demnächst sehr gut besetzen! Und wir schaffen eine neue Kunstpädagogikprofessur, weil wir die Frage nach Vermittlungsformen theoretisch wie praktisch ausbauen wollen. Außerdem nutzen wir eine vakante Stelle, um das Thema Alltagskultur in der Pädagogikausbildung zu stärken. Also ganz im Gegenteil: Für uns ist die Kunstpädagogik eine Schlüsseldisziplin, an deren Erneuerung wir intensiv arbeiten. (DER STANDARD Printausgabe, 22. Juni 2006)