In Zusammenhang mit der Bawag-Affäre wurden Superlative schnell verteilt. Ein relativierender Rückblick auf vergangene Skandale wie dem Krauland-Prozess von 1953/54.

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Österreich ist großzügig beim Verteilen von Orden und Superlativen. Zwei Tote und 17 Verletzte genügten dem ORF, um ein Straßenbahnunglück zum größten in Wien seit dem Zweiten Weltkrieg auszurufen. Die 20 Toten und 100 Verletzten des 38er-Unglücks vom 2. August 1960 in der Billrothstraße waren eben auf dem Küniglberg vergessen. Auch die "Operation Spring", der Lauschangriff und Polizeieinsatz gegen Flüchtlingsheime und Asylantenwohnungen in Österreich, war eine arge Schweinerei. Aber "der größte Polizei- und Justizskandal der 2. Republik", wie die Autoren eines Dokumentarfilms meinten?

Vom Staatsanwalt Pastrovich hatten sie halt noch nie gehört. Paul Pastrovich war in der frühen Nachkriegszeit ein Meister der donnernden Plädoyers gegen Naziverbrecher. Andere ließ er im Austausch gegen herrenlose Firmen, Geld und Fresspakete, die wichtigste Nebenwährung der Nachkriegszeit, laufen. Richter, die er an diesen Geschäften beteiligen wollte, winkten ab, machten aber auch keine Meldung. Als er endlich aufflog, riss er die Staatspolizeistelle beim Volksgericht Wien mit. Beamte im Bundeskanzleramt begrüßten einander tagelang ironisch statt mit "Habediehre" mit "Tabatière", nachdem Bundeskanzler Figl dem Vorwurf der Bestechlichkeit wie ein Phönix aus der Asche entstiegen war.

Der Chef der Staatspolizei beim Volksgericht, ein Korruptionist namens Rados, hatte ihm als Geschenk ein Päckchen mit einer Tabatière aus purem Gold überreicht, doch Figl hatte es weder behalten noch zurückgeschickt, sondern im Amt "hinterlegt". Der Vorwurf, bei der Staatspolizei am Volksgericht werde fallweise mit Nazimethoden verhört, wurde nie bewiesen, aber auch nie widerlegt. Die Strafverfahren gegen Pastrovich und Konsorten dauerten Jahre, die Affäre war Wasser auf die Mühlen der Nazis und ein schwerer Rückschlag für die Glaubwürdigkeit der österreichischen Nachkriegsjustiz.

Ja, mit Superlativen ist man besser vorsichtig, wenn man es nicht wirklich ganz genau weiß. Auch der "größte Wirtschaftsskandal der Zweiten Republik" kann, ohne dass damit auch nur der Hauch eines mildernden Umstandes für die Herrschaften Flöttl, Elsner und Co verbunden wäre, eine historische Relativierung vertragen. Zum Beispiel unter Hinweis auf den Krauland-Prozess, der 1953/54 ein ganzes Ministerium moralisch pulverisierte – posthum, denn es war bereits nach den Herbstwahlen des Jahres 1949 aufgelöst worden.

Unstimmigkeiten

Die Auflösung war allerdings keineswegs wegen der Methoden erfolgt, mit denen das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung ihm anvertraute Vermögen teils für die Partei des Ministers, teils für die Günstlinge des Hauses "gesichert" hatte. Sie erfolgte teils aufgrund der Koalitionsvereinbarungen, teils als Folge persönlicher Unstimmigkeiten zwischen Peter Krauland und Julius Raab, wurde damals aber auch als Erfolg des ÖVP-Wirtschaftsbundes gegen den Arbeitnehmerflügel ÖAAB interpretiert.

Das Ministerium hatte in der Nachkriegszeit eine gewaltige Machtfülle. Es "sicherte" und verwaltete Werte, die vor 1938 österreichischen Organisationen und Vereinen gehört und die sich die Nazis angeeignet hatten. Es setzte für zahllose ehemalige Nazibetriebe oder solche mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen öffentliche Verwalter ein. Es hatte die Rückstellung arisierter Unternehmen in der Hand. Außerdem war es für die Verwaltung und Verwertung der von den Volksgerichten für verfallen erklärten Vermögen verurteilter Nazis und Kriegsverbrecher zuständig.

Das Verbots- und das Kriegsverbrechergesetz sahen bei Schuldsprüchen den Verfall des gesamten Vermögens vor, die Gerichte machten allerdings im Lauf der Jahre immer mehr Ausnahmen. Das Krauland-Ministerium übernahm unter diesem Titel mehr als 10.000 Vermögen – von den Möbeln und Kleidungsstücken des "Alten Kämpfers" mit Goldenem Parteiabzeichen bis zu Anteilen an einer Bank. Im Herbst 1948 verwaltete es 646 Häuser und Grundstücke, 314 bäuerliche sowie 413 kleine und große Handels- und Gewerbebetriebe. Eine ganze Reihe von Ministerien, Interessenvertretungen und Gerichten spielten zusammen, damit ein großer Teil der verfallenen Liegenschaften und Betriebe zu günstigen Konditionen wieder in den Besitz der enteigneten NS-Straftäter oder ihrer Angehörigen gelangte.

Dabei galt die Regel: je größer der Besitz, desto größer das Entgegenkommen. Viele dieser Protektionskinder hatten das, was sie nun zurückbekamen, selbst gestohlen. Von der "zweiten Arisierung" weltberühmter Gemälde spricht man wieder. Die einstigen Eigentümer der in der Hand der Räuber verbliebenen Gewerbebetriebe und Geschäfte, Arztpraxen und Apotheken sind vergessen. Politisch "nahe stehende" NS-Geschädigte wie der "Verein Herold" wurden zuvorkommend bedient, die Ansprüche von den Nazis enteigneter jüdischer Druckereibesitzer kaltschnäuzig abgeschmettert.

Konsens

Das alles war im breiten Konsens geschehen und daher auch nicht Gegenstand des Prozesses. Von den sieben Angeklagten wurden drei wegen Missbrauchs der Amtsgewalt zu 15 Monaten bis zweieinhalb Jahren verurteilt, weil die Rückstellung der Guggenbacher Papierfabrik im Gegenzug gegen eine "Parteispende" von 700.000 Schilling an die ÖVP erfolgt war. Die übrigen wurden freigesprochen, darunter Exminister Krauland, dem eine Amnestiebestimmung zu Hilfe kam. Doch die Hybris einer selbstherrlichen, keiner Kontrolle unterworfenen, parteipolitisch einzementierten Bürokratie war bereits im Vorfeld des Prozesses von mehreren Zeitungen bloßgestellt worden.

Sie hatte im Zweifelsfall fast immer im Sinn parteipolitischer Interessen agiert und bei der "Neuordnung" der Papier- und Druckereilandschaft im Sinne der ÖVP willig mitgespielt. Der Juniorpartner SPÖ ging dabei nicht leer aus. Die Grazer Druckerei Leykam wurde der roten Reichshälfte zugeschlagen. Die Beamtenschaft hatte auch selbst kräftig zugelangt. Die oft überaus lukrative Funktion des öffentlichen Verwalters war binnen kürzester Zeit zum Selbstbedienungsladen geworden, und das Intrigenspiel um Verpachtungen und öffentliche Verwaltungen weist im Rückblick manche Parallele zum Gezerre um fette Arisierungen in den Jahren 1938/39 auf.

Von wegen größter Skandal der Nachkriegszeit: Wenn jeder neue Skandal der größte war, wird es damals schon nicht so arg gewesen sein. So hilft der voreilig verteilte Superlativ mit, die Erinnerung an die Leichen im Keller gänzlich verschwinden zu lassen. Doch nicht nur die Erinnerung an Unmenschlichkeiten schafft Barrieren gegen neue. Dasselbe gilt für die Orgien der Habsucht. Die Raffgier hatte damals andere Methoden, doch ihr Erfolg auf breiter Front ähnelte dem, was wir heute erleben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25.6.2006)