Beim "Networking" sind kriminelle Organisationen den Strafverfolgungsbehörden mehr als einen Schritt voraus. Schon lange bezeichnen Experten wie Moisés Naím, ehemaliger Handels- und Industrieminister Venezuelas und früherer geschäftsführender Direktor der Weltbank, die Mittel, mit denen das organisierte Verbrechen bekämpft wird, als antiquiert und deshalb wenig effektiv. In seinem Buch "Das Schwarzbuch des globalisierten Verbrechens" (Verlag Piper) spricht er von "illegalen Industrien", die die Lücken der nationalen Gesetzgebung und die Möglichkeiten von Internet und Wirtschaftsglobalisierung für sich zu nutzen wissen.
Während lokale Behörden und Polizei tapfer gegen kriminelle Banden vorgehen, agieren die VerbrecherInnen wie Konzerne, die überall dort ihre "Märkte" sehen, wo aufgrund von Gesetzesbrüchen hohe Gewinne winken. Und Menschenhandel ist der nach Umsätzen größte Geschäftszweig (siehe nebenstehendes Interview). Wie schnell die Bosse reagieren, zeigt das Beispiel der Zwangsprostitution während der noch laufenden Fußball-WM in Deutschland. EU-Justizkommissar Franco Frattini erklärte vor wenigen Tagen, dass MenschenhändlerInnen junge Frauen über die östlichen EU-Grenzen nach Deutschland verschleppten und sie dort zu Sex gegen Geld zwingen würden. Polen, Ungarn und die Tschechische Republik hätten bereits hunderte Kontrollen durchgeführt, um das Problem in den Griff zu bekommen. "Wir müssen unsere Kontrollen an diesen Grenzen noch einmal verschärfen", fordert Frattini.
Tageweise "vermietet"
Experten und Expertinnen schätzen, dass jährlich zwischen 70.000 und 120.000 Frauen zur Prostitution nach Deutschland gebracht werden. In Österreich bewegen sich die Zahlen zwischen 10.000 und 15.000. Wie hochgradig organisiert die Hinterleute agieren, zeigt sich immer dann, wenn der Polizei ein erfolgreicher Schlag gegen einen Ring gelingt. "Junge Frauen aus Litauen werden für zwei Tage eingeflogen, danach nach Spanien 'vermietet'. Der 'Markt' ist riesig, die 'Nachfrage' auch", erklärt Erich Zwettler vom heimischen Bundeskriminalamt.
Kennzeichen der neuen Paten ist laut Moisés Naím, dass es nicht mehr den Menschenhändler, den Drogenhändler, oder den Geldwäscher gibt, sondern Organisationen, die untereinander konkurrieren, und - so opportun - auch Allianzen eingehen. Das Ziel, überall offene Volkswirtschaften mit einem erleichterten, grenzüberschreitenden Gütertransport zu etablieren, spielt den kriminellen Gruppen zu.
Gleichzeitig haben sich die politischen Systeme an diese Rahmenbedingungen für Illegalität nicht angepasst. Vielfach, etwa bei Menschen- oder Drogenhandel, betreiben die Staaten eine Art "Angebotsbekämpfung": Die Zielländer setzen sich für strenge Gesetze und rigide Strafverfolgungen in den Herkunftsländern ein, blenden aber aus, dass diese Länder nicht über die dafür notwendige rechtliche und polizeiliche Infrastruktur verfügen. Und in der moralischen Empörung über MenschenhändlerInnen wird vergessen, dass die verschleppten Personen in ihren Ländern keine Zukunftschancen haben und sich deshalb freiwillig in die Hände von Schlepperbanden begeben.