Endlich im Garten! In Wien-Margareten fand die scharfe Küche von Simon Hong Xie ein schönes, neues Heim.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Wien hat kein Chinatown, aber den Naschmarkt. Im und um diesen Bauch der Stadt hat sich in den vergangenen Jahren ein richtiger China-Cluster an Lokalen herausgebildet, wo zwar nur selten besser gegessen wird als beim Pan-Asiaten oder Sushi-Roller ums Eck - dafür ist das Design der ehemaligen Marktstandeln hübsch bunt geraten. Die wirklich guten chinesischen Restaurants siedeln bestenfalls marktnah, das ebenso winzige wie chronisch überfüllte HongKong-Grillhaus in der Köstlergasse etwa, das hallenartige Koi an der Rechten Wienzeile, das charmant bourgeoise Green Cottage in der Kettenbrückengasse - oder gleich an der Stadtperipherie, wie Meister Xiao in Gersthof, Sichuan am Donaupark oder die Goldenen Zeiten in Floridsdorf. Letztere aber werden schon diese Woche an einem prominenten Platz in der Innenstadt ganz neu aufleben.

Strenge Architektur und kulinarische Offenheit

Naschmarktnah und dennoch in sicherer Entfernung der panasiatischen Fritterfritzen hat jetzt der wohl sensibelste China-Koch des Landes, Simon Hong Xie, ein neues Restaurant eröffnet, das, wie schon sein erstes in der Josefstadt, ON heißt. Bereits am alten Standort gingen formal strenge Architektur und kulinarische Offenheit ein wunderbares Spannungsverhältnis ein, allein die schwachbrüstige Lüftung trübte die Freude an Simons meisterhaftem Umgang mit dem Wok. In der Wehrgasse 8 (wo bisher das Restaurant Kramer & Gutierrez war) wurden außer dem Lichtdesign und der technischen Infrastruktur (ja, auch die Lüftung!) nur Details neu gestaltet - und trotzdem sieht das neue ON ganz neu und sehr, sehr gut aus. Ganz besonders darf man sich mit Simon über den Hofgarten freuen, den er, bei aller Lauschigkeit, mit Lärchenholzlatten und schwebenden, weißen Sonnenschirmen in japonistischer Klarheit gestaltet hat. Ziemlich Zen, die Atmosphäre.

Nuanciert abgestimmte Würzmischungen und Marinaden

Die Speisekarte hat sich nur marginal verändert, die ON-Klassiker von Rindfleisch "Gan Bian" bis zum Heilbutt in subtiler Kokos-Chili-Sauce sind alle da. Das soll die Wiedersehensfreude der Stammgäste von einst potenzieren, gleichzeitig aber die Schubkraft der Küche in den ersten Wochen sicherstellen. Dabei ist die auch personell aufgestockte Mannschaft bereits in großartiger Form. Für die gemischte Vorspeisenplatte etwa - gefährliches Terrain auf fast allen Speisekarten - werden gleich etliche Register ON'schen Savoir-faires gezogen. Die diversen Gemüsen, Tofus, Pilze und Fische sind allesamt mit nuanciert abgestimmten Würzmischungen und Marinaden versehen: Shiitake mit Sternanis, Tofu mit Ingwer und Sesam, Lachs mit Koriander und Sechuan-Blütenpfeffer, Thunfisch als Tatar mit Tofu, Frühlingszwiebeln, Ingwer und Kernöl, alles grandios im Geschmack und unglaublich leicht.

Ein Feuerwerk an Konsistenz und Geschmack

Die Fisch-Wan-Tan-Suppe ist so scharf wie angekündigt und mit berückend aromatisch gefüllten Reisteig-Taschen versehen, die in der Suppe herrliche Schlabbrigkeit entwickeln - in der Kombination mit Pilzen und extra-knackigen Gemüsen geht da ein Feuerwerk an Konsistenz und Geschmack ab. Wer freilich mit Schärfe ein grundsätzliches Problem hat, dem kann das ON nur als Therapie empfohlen werden - so richtig mild sind einzig die Desserts.

Nur auf Vorbestellung bereitet Simon einstweilen auch Karpfen zu - den hier zu Lande chronisch unterschätzten Lieblingsfisch der Chinesen. Im ON wird er gedämpft, mit Black-Bean-Sauce, frischen Kräutern und, logo, reichlich frischem Chili versehen. So schmeckt das schneeweiße Fleisch derart zart und leicht und fein, wie man es nur von großen Krabben kennt, dazu die dezidiert erdige Sauce, der ätherische Duft der Kräuter: So wird dem tollsten Fisch des Binnenlandes entsprechend Ehr' erwiesen. Nochmals danke, Simon Hong Xie! (Severin Corti/Der Standard/rondo/30/06/2006)