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Die Forscher hoffen mit ihrer Proteinkarte neue Einblicke in die Vorgänge des Lernens zu gewinnen.

Foto: APA/epa/Milligan
Wien - Forscher in Großbritannien haben an den Synapsen, jenen Verbindungsstellen, über die Nervenzellen miteinander kommunizieren, rund 1.000 Proteine entdeckt und eine Karte erstellt, die zeigt, wie diese Eiweiße miteinander interagieren. Univ.-Prof. Dr. Seth Grant vom Wellcome Trust Sanger Centre in Cambridge und seine Mitarbeiter stellten außerdem fest, dass Veränderungen in den Genen, die dieses Proteinnetzwerk bilden, zu Lernschwierigkeiten führen können. Dies erklärte Grant aus Anlass des Kongresses des Forums der Europäischen Hirnforscher (FENS) im Austria Center Vienna (bis 12. Juli) mit rund 5.000 Teilnehmern (derStandard.at bereichtete, siehe Das Denken begreifen ).

"Gene und Erkenntnis"

Die Forscher hoffen mit ihrer Proteinkarte neue Einblicke in die Vorgänge des Lernens zu gewinnen. Grant leitet das Forschungsprogramm "Gene und Erkenntnis" ("Genes to Cognition") beim Wellcome Trust und erforscht die molekularen Grundlagen für Verhalten, Gedächtnis und Lernen. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Proteine, die die Forscher an den Synapsen aufgespürt haben, um das Zehnfache gestiegen.

Unbekannte

Doch die Forscher wissen noch nicht, was 90 Prozent dieser Proteine eigentlich machen. "Sie geben uns aber einen riesigen Raum für Entdeckungen", sagte Grant am Samstag. Das Gehirn hat schätzungsweise 100 Milliarden Neuronen, die an den Nervenendigungen, wo sich die Synapsen befinden, Informationen weiterleiten und verarbeiten. Ein erwachsener Mensch hat bis zu 500 Trilliarden solcher Synapsen.

Die britischen Wissenschafter entdeckten ein genetisches Programm, das die Synapsen bildet. Ein solches Programm hatten die Neurowissenschafter immer vermutet. Mit den jetzt von ihnen an den Synapsen entdeckten etwa 1.000 Proteinen haben die Forscher eine "Landkarte" erstellt, die zeigt, wie diese Proteine miteinander vernetzt sind. Daraus haben sie ein Modell entwickelt, das deutlich macht, wie dieses molekulare Kommunikationsnetz die Signale koordiniert, die von den aktiven Nervenzellen ausgesendet werden.

Viele Jahre lang haben Forscher die Synapsen von Tintenfischen, Schnecken und Weichtieren (Molluskeln) untersucht. Sie nahmen an, sie seien denen des Menschen vergleichbar. Jetzt wissen sie, dass das nicht der Fall ist. Die Synapsen bei höheren Wirbeltieren, und damit auch des Menschen, haben eine viel größere molekulare Komplexität. Grant nimmt an, dass diese Komplexität auch die Ursache für die sehr vielfältigen Verhaltensmuster von Säugetieren ist. Um ihr Modell zu testen, haben sie genetisch veränderte Mäuse untersucht, die dieselbe Genmutation haben wie etwa Menschen, die geistig behindert sind.

Neuland

"Wir wissen sehr wenig über die molekularen Grundlagen kognitiver Prozesse. Es ist aber erstaunlich, dass einige der höheren Funktionen durch Genmutationen verändert werden. Zum Beispiel ist die Wahl der richtigen Strategie essenziell, um ein Problem zu lösen. Wir haben ein Gen entdeckt, das für diesen Entscheidungsprozess erforderlich ist. Tiere, denen dieses Gen fehlt, sind lernbehindert, da sie den falschen Weg zur Lösung eines Problems einschlagen", erklärte der Wissenschafter.

Der Größenmaßstab dieser Forschungen ist für die Neurowissenschaften neu. Die Forscher können jetzt damit beginnen, die komplexesten biologischen Vorgänge auseinander zu dividieren. "Es ist aufregend, die Komplexität des Gehirns und seine Ursprünge in der Evolution zu verstehen. Wir betreten Neuland, so wie zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Physik", zeigte sich Grant optimistisch. (APA)