Die Regierung nennt die Anhebung des Pensionsantrittsalters "sozial gerecht", die Opposition spricht vom Gegenteil.
Dass die Verlängerung des Arbeitslebens notwendig ist, um das Pensionssystems erhalten zu können ist, ist richtig.
Daraus zu schließen, dass die von der Regierung geplante Maßnahmen sozial sind, ist falsch. Die Behauptung
nämlich, dass eine Hinaufsetzung des Pensionsanfallsalters um 18 Monate für alle auch tatsächlich alle in gleicher
Weise trifft und die Maßnahmen folglich gerecht seien, stimmt mit der Realität nicht überein. Denn welche Personen
wie getroffen werden, hängt primär von deren Lebenserwartung ab. Und die ist je nach sozialer Lage verschieden.
Mit steigender Bildung steigt auch die Lebenserwartung, Angestellte und Beamte haben in allen Altersstufen ein
niedrigeres Sterblichkeitsrisiko als Arbeiter.
Bei 65-Jährigen beträgt die Differenz in der Lebenserwartung zwischen Hochschul-und Pflichtschulabsolventen ca.
drei Jahre. Bei Männern macht das ca. 20 Prozent der verbleibenden Pensionszeit aus, bei Frauen ca. 15 Prozent.
Es ist nun sicher nicht möglich, individuelle Daten bei der Veränderung des Pensionsrechtes zu berücksichtigen.
Aber es ist möglich, Gruppen, bei denen sich besonders viele Personen mit entsprechenden Charakteristika finden,
davon auszunehmen. Das betrifft in erster Linie Arbeiter, die bisher mit 60 Jahren und 37,5 Jahren Versicherung in
Frühpension gehen konnten. Nach der vorgesehenen Neuregelung sollen Arbeiter auch dann erst mit 61,5 Jahren in
Pension gehen können, wenn sie mit 60 bereits 45 Jahre gearbeitet haben (das betrifft überwiegend Männer, die seit
ihrem 15. Lebensjahr in manuellen Berufen tätig waren). Bei dieser Gruppe sind arbeitshindernde Krankheiten und
eine kurze restliche Lebenszeit weiter verbreitet als etwa bei Kanzleikräften oder Lehrern.
Zwischen diesen Gruppen nicht zu differenzieren, entspricht also vielleicht formaler Gleichheit, aber sicher nicht
sozialer Gerechtigkeit. Eine Regierung, die das nicht beachtet, handelt unsozial.
Aber auch die Opposition, die in ihrem Widerstand gegen die Hinaufsetzung des Pensionsanfallsalters nicht zwischen
diesen Gruppen unterscheidet, handelt unsozial. Denn eine solche Erhöhung generell abzulehnen, bedeutet eine
Gefährdung des Pensionssystems. Und: Nur den Widerstand gegen die Regierung symbolisch zu stützen, ohne zu
versuchen, jene Gruppen zu schützen, für die eine Verlängerung des Arbeitslebens eine übermäßige Belastung
bedeutet, zeugt von politischer Schwäche.
Derzeit kommt der größte Widerstand gegen die Reform von Beamten und den Eisenbahnern. Bei beiden gibt es
Gruppen, die mit Recht behaupten können, dass eine Verlängerung des Arbeitslebens eine große Belastung wäre.
Aber Eisenbahner sind nicht nur Lokomotivführer und Verschubarbeiter, sondern auch Buchhalter, Schalterbeamte
und Schaffner. Was Ersteren vielleicht nicht zugemutet werden kann, ist für Letztere, wenn auch unangenehm, so
doch vertretbar.
Die Opposition gegen die Pensionsreform, die hier keine Unterscheidungen macht, gibt der Regierung Recht.
Peter Rosner ist Dozent an der WU Wien.