Zur Person

Ulrich Tilgner ist seit 2006 ZDF-Sonderkorrespondent für den Nahen und Mittleren Osten und seit 2002 Leiter des ZDF-Büros in Teheran. Seine Tätigkeit als "Journalist vor Ort" begann bereits 1980, damals für die ARD, die dpa und diverse Tageszeitungen, im Iran. Zwischen 1986 und 2000 war er in Jordanien tätig. 1999 bzw. 2003 berichtete er aus Bagdad über den Zweiten Golfkrieg sowie den Krieg im Irak.

Zu seinen Büchern zählen unter anderem "Umbruch im Iran" (1979) sowie aktuell "Der Inszenierte Krieg. Täuschung und Wahrheit beim Sturz Saddam Husseins" (2003).

Schlaining - Der Schwierigkeit, im facettenreichen Konflikt zwischen USA und Iran Dichtung von Wahrheit zu unterscheiden, widmete sich Ulrich Tilgner. Der Atomwaffensperrvertrag oder der Bürgerkrieg im Irak, dienen ihm als Beispiele um zu verdeutlichen wie schwierig es oft ist, sich ein klares Bild von der aktuellen Situation zu machen.

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Warum stößt die Beteuerung aus Teheran, in Iran existiere kein militärisches Atomprogramm, im Westen mittlerweile auf taube Ohren? Für ZDF-Korrespondent Ulrich Tilgner gibt es dafür sehr wohl Gründe: In den vergangenen Jahren hat die iranische Führung die internationale Öffentlichkeit über das Ausmaß des Atomprogramms und die Arbeiten zu sehr getäuscht. Und auch vor Ort kann man sich kein präzises Bild davon machen, denn zu groß ist das Gemisch von Dichtung und Wahrheit, so Tilgner. "Wenn dem so wäre, wüssten wir davon", hätten iranische Wissenschaftler ihm gegenüber die Existenz militärische Atomprogramme ausgeschlossen, berichtet der Journalist.

Gleichzeitig aber, betont Tilgner, kursieren Gerüchte über Forschungszentren in Bergstollen sowie unterirdische Produktionsstätten. Zusätzlich verzwickt werde die Angelegenheit nicht nur durch das Fehlen von Beweisen, sondern dass auch die Inspektoren der Atomenergiebehörde (IAEO) bislang keine konkreten Hinweise auf solche Geheimkomplexe hätten.

Details

Aus iranischen Erklärungen ließen sich aber sehr wohl Schlussfolgerungen ziehen: Hassan Rohani, der ehemalige Generalsekretär des nationalen Sicherheitsrates in Iran und langjähriger Verhandler mit der IAEO, hatte im Frühjahr 2006 den Rechenschaftsbericht von Spitzenpolitikern mit brisanten Details erhalten. Rohani gab den Inhalt dieses Dokuments an seine Kollegen weiter. Das könnte ihn nun wegen Verrats vor Gericht bringen.

Eine wichtige Kernaussage aus diesem Dokument belegt laut Tilgner klipp und klar genau das, was der Westen dem Iran unterstellt: "Über ihn (den atomaren Brennstoffkreislauf) zu verfügen, gleicht ungefähr der Fähigkeit, atomare Waffen herzustellen, falls der politische Wille des Landes danach verlangt." Letztlich sei es dabei nicht wesentlich, ob der Schritt zum Bau der Bombe vollzogen werden soll oder nicht. Vielmehr weise das Dokument darauf hin, dass Iran im atomaren Bereich mehr besitze, als allgemein angenommen wurde.

Torpedos und Atomsprengköpfe

"Wenn man die iranische Atomfähigkeit beurteilen will, muss man davon ausgehen, dass Iran bereits Bomben besitzt", betont Tilgner weiter. Diese Bomben seien einfach zu kaufen, wie einzelne Exemplare moderner US-Waffen wie Torpedos aus dem Irak beweisen. Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden aus zentralasiatischen Republiken Atomsprengköpfe von Raketen angeschafft. Sehr viel habe sich die iranische Führung auch die Beschaffung von atomaren Potentialen kosten lassen: allein an die "Atommafia" des Pakistaner Abdul Qadeer Khan seien 200 Millionen US-Dollar für Elemente zur atomaren Produktion geflossen. Khan hat im Übrigen die Anleitung zum Bau der Bombe gleich gratis dazugeliefert, unterstrich Tilgner.

Man muss daher davon ausgehen, dass Iran ein beeindruckendes Materiallager für atomare Produktion besitze, das sich friedlich und militärisch nutzen und weiterentwickeln lasse, schließt Tilgner. Die Staatsführung in Teheran halte sich die Entscheidung weiter offen, in welche Richtung dieses Programm entwickelt werden soll. Doch man müsse sich vor Augen halten, dass zu den Auseinandersetzungen, die jetzt stattfänden, parallel die Entscheidung falle.

Verhältnis zwischen den USA und Iran

Wesentlich "unkomplizierter" gestalte sich die Entwicklung des Verhältnisses USA – Iran: die Beziehungen können eigentlich schlechter nicht sein, so Tilgner und führt mit einem kurzen historischen Überblick einige Eckpunkte des zerrütteten Verhältnisses an: der Sturz der Mossadeq– Regierung 1953, die Besetzung der US-Botschaft am 4. November 1979 oder auch die US-Wirtschaftssanktionen trotz gelegentlicher Waffenlieferungen nach Teheran. Durch den 11. September 2001 folgte eine weitere Eskalation, die von den Medien oft unhinterfragt und einseitig wiedergegeben wird, kritisiert Tilgner. "Irans Präsident Mohammad Katami hat trotz anfänglicher innenpolitischer Differenzen durch die konservative Führung die Forderung von Bush, einen Krieg gegen den Terror zu führen, unterstützt."

So hätten zum Beispiel Revolutionswächter in Westafghanistan einen Vormarsch gegen die Taliban organisiert. Wie weit diese Kooperation ging, blieb aber unklar, bislang hätten beide Seiten dazu geschwiegen. Und statt die Kooperation in einen Dialog mit den Iranern zu überführen, habe der US-Präsident wenige Wochen nach Ende des Afghanistankriegs den Krieg in seiner Rede zur Lage der Nation verstärkt, in der er den Iran als Mitglied der 'Achse des Bösen' aufgenommen hatte.

Kriegsfreiwillige

Systematisch seien von da an die iranischen Streitkräfte auf einen US-Angriff vorbereitet worden. In einem Sofortprogramm hat die militärische Führung neue Freiwilligenverbände aufgestellt und die Truppen des Landes vollständig umgruppiert. "Das sind dann übrigens die Leute, die Ahmadinejad zum Präsidenten gewählt haben, die Kriegsfreiwilligen, die bassiji, das Hauptreservoir seiner Wähler." Die Zahl der bassiji habe sich seit 2002 verdoppelt, so Tilgner.

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In Folge habe der sich abzeichnenden Irakkrieg die zunehmende Konfrontation zwischen Iran und den USA überlagert. Bereits in den Monaten vor dem Angriff sei deutlich geworden, dass sich die Führung in Teheran zwar offiziell gegen einen Krieg ausgesprochen, praktisch aber wie im Afghanistan Krieg den Einsatz der US-Streitkräfte zum Sturz Saddam Husseins unterstützt habe. Dabei sei wichtig gewesen, dass Ayatollah Sistani trotz enormen Drucks die Schiiten nicht zum Kampf gegen ausländische Truppen aufgerufen hat. "Das kann man daran sehen, dass sich die schiitische Bevölkerung im Südirak weitgehend neutral verhalten hat". Anders ist der schnelle Vormarsch im Südirak auch gar nicht zu erklären, meint Tilgner.

Was Irans Unterstützung anbelangt, so seien auch im Irakkrieg sowohl Revolutionswächter als auch im Iran ausgebildeten Milizen der irakischen Opposition über die Grenze zur Unterstützung eines von US-Streitkräften geführten Angriffs in den Kampf geschickt worden.

Informationen des CIA

Während dieser Zeit kam aus Washington kaum Kritik an der iranischen Führung, so der Korrespondent, doch nur wenige Wochen nach der Eroberung Bagdads schlugen US-Politiker wieder andere Töne an: Behauptungen über ein militärisches Atomwaffenprogramm des Iran folgten den Kriegsdrohungen, aber konkrete Beweise wurden nicht geliefert, schildert Tilgner. Ähnlich wie im Vorfeld des Irak-Krieges berufen sich, berichtet er weiter, US-Politiker bei der Gefahr durch iranische Massenvernichtungswaffen auf Analysen der CIA.

Im November 2004 hieß es im jährlichen CIA- Bericht: "Iran setzt beharrlich und voller Energie den Plan eines eigenen Programms zur Herstellung von nuklearen chemischen und biologischen Waffen fort … Die USA bleiben überzeugt davon, dass Teheran ein geheimes Nuklearwaffenprogramm betrieben hat, das in Widerspruch zu seinen Verpflichtungen als Partei des Atomwaffensperrvertrages steht." Was die Unsicherheit des CIA-Berichts betrifft, lasse nicht nur eine Studie erkennen, die im März 2005 an Präsident Bush übergeben wurde. Auch ein Offizier, der die Einzelheiten des CIA-Berichts kenne, bezeichnete die Informationslage als "skandalös".

Militärische Muskeln

"Die USA belassen es aber nicht nur bei Drohungen, sie lassen auch militärische Muskeln spielen." Tilgner beruft sich hierbei auf den amerikanischen Journalisten Seymour Hersh, demzufolge im Frühjahr 2006 acht Flugzeugträger in der Golfregion operierten. Eine vergleichbare Konzentration gab es nur in den Wochen vor dem Angriff der USA auf den Irak. Auch seien in diesem Frühjahr Kampfbomber in die Luft aufgestiegen und hätten den Abschuss von taktischen Atomwaffen vom Typs B 61/11 geprobt, Waffen, die eingesetzt werden können, um Bunker zu brechen.

Zudem fänden, Hersh zufolge, die US-Manöver im Bereich der Radarschirme der iranischen Marine statt. Mit solchen Demonstrationen werde der Druck auf die iranische Staatsführung systematisch erhöht. Folgt man den Berichten Hersh, so Tilgner, sind bei Kriegsvorbereitungen bereits hunderte Ziele festgelegt worden, die mit dem Atomprogramm Irans nichts zu tun haben.

Psychologische Kriegsführung?

"In der iranischen Öffentlichkeit hat dieser Bericht über die Kriegsplanung der USA wie eine Bombe eingeschlagen". Waren zuvor viele Iraner bereit, einen Krieg in Kauf zu nehmen, um ein ziviles Atomprogramm weiterzuführen, so wurde ihnen plötzlich der Einsatz zu hoch, stellt Tilgner fest. Für ihn ist dies ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sich mit Informationen Meinungen ändern lassen. Doch Tilgner zufolge könnte diese Wirkung auch das Ergebnis eines Programms sein, mit dem die US-Regierung ihre psychologische Kriegsführung gegen den Iran intensiviert. Vergleichbare Maßnahmen hätte es auch im Vorfeld des Irak-Kriegs gegeben.

Finanzielle Unterstützung der USA, die laut Condoleezza Rice helfen soll, "die Sehnsüchte des iranischen Volkes zu unterstützen" und "Netzwerke für iranische Reformer, politische Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten" zu entwickeln, würden sich ebenfalls zunehmend auf das Leben im Iran auswirken. Die Unterstützung der iranischen Opposition sei zwar nichts neues, entscheidend für Tilgner ist jedoch die Steigerung der Beträge, die dafür bereitgestellt würden. Waren es 2005 noch drei Millionen Euro, so standen 2006 bereits 70 Millionen zur Verfügung, davon 40 Millionen für Fernsehprogramme, die auf Farsi in die Islamische Republik ausgestrahlt werden und 20 Millionen fließen in ein Programm, mit dem die iranische Demokratie gefördert werden soll. Doch "wie das möglich sein soll", wisse er nicht.

Im Iran hingegen seien bereits Gegenmaßnahmen im Gang. Aus den USA gesendete Fernsehprogramme seien in Teheran kaum noch zu empfangen, Regierungsgegner würden stärker überwacht und kontrolliert, und unter den Oppositionsgruppen wachse die Zurückhaltung, etwas gegen die Regierung zu tun. Viele befürchteten, beschuldigt zu werden, für die US-Regierung zu arbeiten.

"Medienkampagne gegen den Iran"

Eine Medienkampagne gegen den Iran, lässt sich allerdings nicht mehr allein auf Missverständnisse oder schlechte Recherchen zurückführen, sondern auf bewusste Manipulation, so Tilgner am Ende seines Vortrages. Dazu zitiert er eine Meldung der AFP vom 23. Juni zur Aussage des Kommandeurs der US-geführten Truppen im Irak, George Casey. Dieser hatte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Verteidigungsminister Rumsfeld dem Iran vorgeworfen, mit Hilfe von Verbündeten im Irak Terroroperationen durchzuführen: Es gibt "keine Beweise, dass Iraner sich persönlich an diesen Operationen beteiligen", allerdings versorgten sie "Spezialkräfte im Untergrund" mit Waffen und Sprengstoffen und bilden "schiitische Extremistengruppen in Irak aus", lautete die Meldung.

Der Hauptschub des Terrorismus sei aber nicht vom Iran gekommen, sondern auf die massiven Fehler der US-Politik im Irak und dem Auftreten der US-Soldaten zurückzuführen, meint Tilgner und fügt hinzu, dass dies den Terroristen in einer unvorstellbaren Weise die Arbeit erleichtert hat. Diejenigen, die es verstanden hätten, diese Anschuldigungen auszunützen, seien vielmehr die Terroristen selbst.

Terrornetzwerk

So habe Zarqawi alles daran gesetzt, im Irak einen Bürgerkrieg zu initiieren. Sein ganz großes Ziel sei gewesen, einen Krieg zwischen den USA und Iran herbeizuführen. Dafür habe er sein Terrornetzwerk instruiert, durch Anschläge auf den Ausbruch eines solchen hinzuwirken. Hinsichtlich der Terrornetzwerke weiß man auch ganz genau, unterstrich der Korrespondent, dass sie mit unglaublichen Geldmitteln aus den Staaten der arabischen Halbinsel unterstützt werden. Zarqawi selbst, betont Tilgner, war ein Beduine aus Jordanien.

Vorsichtig zeigt er sich hinsichtlich der Bedeutung von Ressourcen in diesem Konflikt: es geht den USA nicht, wie oft behauptet, um die alleinige Kontrolle der fossilen Energieträger, sondern darum, dagegen einzuschreiten, dass - wie gegenwärtig der Fall - die Mehrheit des Öls aus dem Iran in Form von Langzeitverträgen nach China exportiert werde.

Unzureichende Schablonen

Eher düster ist Tilgners Prognose auch in Bezug auf alternative Medien und der Zukunft des Iran: "Ich glaube kaum, dass es hilft, sich damit zu trösten, dass es Teile der Medien gibt, die kritische Artikel schreiben. Der Mechanismus, der hinter dieser komplexen Realität und der Berichterstattung über sie steht, kann nur schwer durchbrochen werden, weil es mit einfachen Schablonen nicht geht. Dieses Dilemma hat sich bei mir durch die Friedensbewegung während des Irak-Kriegs gezeigt. Die Gefahr, dass es zu einem Iran-Krieg kommt, halte ich für sehr groß. Es bedarf eines grundsätzlichen Umdenkens des Verhältnisses zwischen Abend- und Morgenland, um diese Kette von Terror und Kriegen zu durchbrechen. Ich glaube nicht, dass das so schnell gehen wird. Die Medien können und müssen einen Beitrag dazu leisten, aber meiner Ansicht nach stehen wir bei diesen Bemühungen völlig am Anfang." (hag)