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Das politische Hauptquartier der Hisbollah ist zerstört, viele Menschen fliehen.

Foto: REUTERS/Issam Kobeisi
In den südlichen Vororten von Beirut sind ganze Straßenzüge zerstört, jeden Tag werden es mehr. Privat versuchen die Menschen in unversehrteren Stadtteilen, den Flüchtlingen zu helfen. Aber es mangelt an vielem. Bleiben oder gehen? Die Frage wird immer drängender.

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Jetzt zählen die Libanesen nicht mehr die Tage nach dem Mord an Rafik Hariri, sondern die seit dem Ausbruch des Krieges. Am Morgen von Tag neun erschüttern neue Explosionen Beirut, wieder fallen Bomben auf die südlichen Vororte der Hauptstadt. Wie Haret Hreik, dem zumeist schiitischen Wohngebiet, in dem auch die Hisbollah ihre Büros und sozialen Einrichtungen hatte.

Die wenige Kilometer lange Fahrt vom Stadtzentrum nach Haret Hreik führt vorbei am menschenleeren Strand, dann durch völlig verlassene Stadtviertel. "Schon der Lärm der Bombardements ist hier nicht auszuhalten", erklärt Ahmed, der fährt. Leer steht auch das Lager von Sabra. Die palästinensischen Flüchtlinge sind ein weiteres Mal zu Flüchtlingen geworden.

Mondlandschaft

Je mehr man sich dem Zentrum von Haret Hreik nähert, desto größer sind die Verwüstungen. Ganze Straßenzüge sind zerstört. Die Gegend gleicht einer Mondlandschaft, alles ist mit grauem Betonstaub überzogen. Auf einigen Balkonen flattert Wäsche. Ein riesiger Plakatständer mit Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah und Parlamentspräsident Nabih Berri hat die Angriffe heil überstanden. Einige Bombenkrater sind schon zugeschüttet. Ein Bulldozer räumt Schutt weg. Ein Geschäftsbesitzer wühlt verzweifelt in seinem Lager nach etwas Brauchbarem. Zu sehen sind sonst nur wenige junge Männer, die Wache halten und dafür sorgen, dass nicht geplündert wird.

Im Libanon gibt es kein Alarmsystem, keine Sirenen, die vor Bombenangriffen warnen. Keine Schutzräume, in die die Menschen flüchten könnten, so wie dies in Israel der Fall ist. Hier muss jeder für sich selbst sehen, wie er mit der Gefahr fertig wird.

Fast heile Welt

Wenige Meter außerhalb von Harek Hreik beginnt wiederum eine andere, fast heile Welt. Das Leben geht seinen gewohnten Gang, wenn auch in einem viel langsameren Rhythmus. Einige der Flüchtlinge aus Haret Hreik treffen wir im zentralen Geschäftsviertel Sanayeh. In einem dreistöckigen Altstadthaus hat Fatmeh Abou Rida, die Präsidentin der Wohlfahrtsorganisation Saida Zainab, ihre Tore für 125 Menschen geöffnet. Mit privaten Helfern und Spenden versucht sie so gut wie möglich über die Runden zu kommen, auch wenn es an vielem mangelt, zum Beispiel an Matratzen oder genügend Milch für die Kinder.

Geholfen werde aus reiner Menschlichkeit. Politik und Konfessionalismus hätten hier nichts zu suchen, betont Zeinab Issa, selbst Psychologin und Direktorin der Organisation, die sich sonst um Arme kümmert und Projekte für die Landbevölkerung unterhält.

Eine der ersten Anlaufstellen für die Flüchtlinge, von denen es nach Schätzungen internationaler Organisationen bereits eine halbe Million gibt, ist der nahe gelegene Stadtpark. Hier campieren einige dutzend große Familien immer noch im Freien. Dreimal am Tag wird Essen von Hilfsorganisationen geliefert. Studentinnen helfen beim Verteilen. Aufrufe, sich als freiwillige Helfer zur Verfügung zu stellen, kleben an vielen Hauswänden Beiruts.

Vom Park geht es dann meistens in eine Schule, zum Beispiel in ein Gymnasium auf der andern Straßenseite. Etwa 400 Leute sind hier untergebracht. Die Stimmung ist spannungsgeladen. "Hat dieses kleine Mädchen Raketen auf Israel geschossen? Warum muss die ganze Bevölkerung leiden? Dürfen sie uns alle umbringen, und die ganze Welt schaut tatenlos zu?", ereifert sich ein junger Familienvater, der seine Schneiderei in Dahi verloren hat, dem südlichen Vorort, den es am allerschlimmsten getroffen hat.

"Was kümmert uns das Essen und die Versorgung hier? Wir wollen unsere Häuser", mischt sich eine aufgebrachte Frau ein, die erleben musste, wie ihr eigenes wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist.

Ganz in der Nähe spielen sich Szenen ab, die für weitere Beunruhigung sorgen. Die indische Botschaft bringt ihre Landsleute in Sicherheit. Dass westliche Ausländer ausreisen, das haben auch die, die keine Fluchtmöglichkeiten haben, verstanden. "Aber wenn die Inder gehen, muss es wirklich schlimm sein", findet Ahmed. Die große Sorge für viele ist, dass es nach der Evakuierung der Ausländer für Israel gar kein Halten mehr gibt und kein Fleck mehr vor den Bombardements sicher ist.

Bleiben oder Gehen

Bleiben oder Gehen, diese Frage stellt sich für viele Libanesen immer drängender. Über 60 Tote waren am Montag die Bilanz des bisher schlimmsten Tages. "Ich habe einen kanadischen Pass, aber meine Frau will nicht weg", schildert ein Lebensmittelhändler sein Dilemma. Sein Nachbar im Buchladen bleibt gelassen. "Seit 30 Jahren öffne ich jeden Tag mein Geschäft, auch während des Bürgerkrieges. Wir werden auch diesen Krieg irgendwie überleben, inschallah, so Gott will." (Astrid Frefel aus Haret Hreik/DER STANDARD, Printausgabe, 21. Juli 2006)