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Der neue "V-Wagen" hat keine technischen Mängel, sondern das Wiener U-Bahnsystem.

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Der Bund wies die vom Magistrat erteilte Betriebsbewilligung zurück und die Wiener müssen zurück an den Start.


Der neue U-Bahnzug "V" bekommt noch mehr Verspätung, als er ohnehin schon hat. Die oberste Eisenbahnbehörde im Verkehrsministerium hat am Donnerstag Einspruch gegen die von der Magistratsabteilung 64 erteilte Betriebsbewilligung erhoben. Damit bleibt die Ampel Rot und die zehn neuen U-Bahngarnituren der Type V aus dem Hause Siemens vorerst am Abstellgleis.

"Nicht, weil die neue Siemens-U-Bahn nicht sicher ist", wie man im Verkehrsministerium betont, sondern weil das Wiener U-Bahnnetz einige sicherheitsrelevante Überprüfungen schlicht und einfach nicht erfülle bzw. diese im Bescheid nicht ausreichend dokumentiert seien. Dazu gehören, wie berichtet, die Evakuierungspläne für den Notfall (insbesondere vom U-Bahnzug in den Tunnel), Mängel bei der Brandrauchentlüftung und der Nachweis, dass Lärm und Vibrationen für die U-Bahnfahrer keine Gesundheitsgefährdung darstellen. Das bestreiten die Wiener Linien vehement und verweisen auf eine Betriebsbewiligung durch die Magistratsabteilung 68, die dem "V" grünes Licht gibt.

Hinter diesem lächerlich wirkenden Streit zwischen Amtsschimmeln um Paragrafen und Arbeitnehmerschutzbestimmungen steckt freilich viel mehr; ein vielschichtiges Geflecht, das bis zum Bau des klimatisierten U-Bahn-Typs im Jahr 1997 zurückgeht. Der Prototyp des V (und mit ihm die 25 Serienfahrzeuge), die seit 2003 ausgeliefert werden sollten, wurden formalrechtlich betrachtet, ohne Baugenehmigung gebaut. Selbige wurde dann vor drei Jahren nachgeholt, was gleich in einem Aufwaschen mit der Betriebsbewilligung erfolgen sollte. Blöderweise waren inzwischen mehrere Gesetze verändert worden und einige EU-Richtlinien in Kraft getreten, die Österreich verspätet in das Rechtssystem implementiert hat. Auf die musste Siemens den V nachträglich aufrüsten, was die Auslieferung des V verzögerte, aber nicht der Grund für den aktuellen Streit ist. Der tobt zwischen Wien und Bund.

Notfallstiege

So wurde beim V zum Beispiel nie überprüft, ob die 1300 Fahrgäste, die pro Zug maximal mitfahren dürfen, im Notfall auch tatsächlich vom Fahrgastraum in die Tunnelröhre klettern können, wenn pro Wagen nur ein bis zwei Leitern zur Verfügung stehen und zwischen U-Bahn und Tunnelwand nur 70 Zentimeter Platz ist. Für den Lokführer ist dieser Test essentiell, ist er doch verantwortlich, dass im Unglücks- oder Brandfall alle Fahrgäste den Zug verlassen können, ehe Rettung und Feuerwehr die Verletzten bergen.

Damit ist klar: Der Ball liegt bei den Wiener Linien. Sie müssen ihren Bescheid nun überarbeiten und um die geforderten Gutachten und Daten anreichern. "Es geht um die Sicherheit der Fahrgäste und damit um die öffentliche Sicherheit, nicht nur um die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen", lässt Verkehrsminister Hubert Gorbach wissen – und wird dafür von Wiener SP-Gemeinderatsabgeordneten Franz Ekkamp prompt kritisiert, weil das Ministerium die Wiener Linien schikaniere.

Das lässt man im Verkehrsministerium nicht gelten, die MA 64 hätte es in der Hand gehabt, dem Bescheid ein vollständiges Brandschutztechnisches Gutachten beizulegen. Außerdem sei das Wirtschaftsministerium bei Arbeitsschutzbestimmungen wie der von einer EU-Richtlinie vorgeschriebenen Verordnung über Lärmbelastung und Vibrationen säumig gewesen, weshalb die Richtlinie nun ohne Übergangsfristen in Kraft getreten sei. Das wiederum hätten die Wiener Linien Siemens sagen müssen, die den Zug dementsprechend adaptieren mussten. "Diese Züge werden 30 Jahre im Einsatz sein, da muss bei der Sicherheit alles passen", heißt es im Verkehrsministerium.

Bei den Wiener Linien, die zuletzt heftigen Druck ausgeübt haben sollen, um doch eine Bewilligung zu bekommen, war angesichts der neuen Verspätungslage keine Stellungnahmen zu erhalten. Die Zeit drängt: Zumindest zehn Züge der Type V werden ab 2. September dringend auf der verlängerten U1 gebraucht. (Luise Ungerboeck/DER STANDARD-Printausgabe, 21.07.2006)