20 Stunden täglich mit der Hand am Joystick
Zum Schluss verbrachte er 20 Stunden am Tag mit
Spielen: Kriegsspiele voller Gewalt, zum Teil auch Nazi-Spiele.
"Leute zu erschießen, auf ihren Kopf zu zielen, im Panzer über Häuser
zu rollen - das war meine Realität. Wenn ich einen Joystick sehe,
kribbelt es mich noch immer in den Fingern", sagt er. Einen Monat
Therapie in einer Amsterdamer Spezialklinik für Suchtkranke hat er
jetzt schon hinter sich.
Drogen gegen die Müdigkeit
Als er noch Computer spielte, ging Tim nie vor 4.00 Uhr ins Bett.
Kokain, Haschisch und Ecstasy halfen ihm, diesen Rhythmus
durchzuhalten. "Morgens bin ich aufgestanden, dann hab ich mir die
Drogen besorgt, und ab elf Uhr habe ich vor dem Rechner gesessen." Da
blieb er dann bis zum frühen Morgen des nächsten Tages. Er habe nicht
einmal die Fensterläden aufgemacht, erzählt Tim.
Das Schlachtfeld zu Hause
Sein Zimmer sei ein
einziges Schlachtfeld gewesen, überall lagen leere Pizzakartons und
leere Flaschen. "Ich bin nicht mal mehr aufgestanden, um auf die
Toilette zu gehen. Ich habe einfach in eine große Flasche gepinkelt,
ohne mit dem Spielen aufzuhören."
Ratlose Eltern
Seine Eltern waren wie gelähmt vom Verhalten ihres Sohnes. Und mit
seinen 139 Kilo Gewicht war Tim auch niemand, dem man so einfach die
Leviten lesen konnte. Die Eltern machten sogar die Hausaufgaben für
ihn. Aber dann hatten sie irgendwann genug: Sie stellten ihn vor die
Wahl, in die Klinik zu gehen oder auf der Straße zu landen. Ihr Sohn
entschied sich für die Therapie und wurde der erste Patient mit
Videospielsucht in der Spezialklinik Smith and Jones.
Klinik für Suchterkrankungen
"Beim ersten Treffen mit Tim sagte ich ihm: 'Du bleibst von heute
an hier.' Und er fragte: 'Kann ich meinen Gameboy behalten?'",
erinnert sich der US-Spezialist Keith Bakker, der die Klinik
gründete. Dort wurden bisher Alkoholkranke, Kokainabhängige,
Patienten mit Bulimie oder Glücksspielsüchtige behandelt, jetzt hat
sich die Klinik auch Videospielsüchtigen geöffnet. Der Großteil von
ihnen kommt aus dem Ausland und zahlt viel Geld für eine
Gruppentherapie mit intensiver Betreuung.
Sitzungen in Gesprächsgruppen
Wieviel das genau kostet, darüber schweigt sich die Klinikleitung
aus: "Das hängt vom Einkommen ab." Dafür bekommen die Patienten ein
volles Programm: eine halbe Stunde Meditation am Morgen, ein
Fitnessprogramm und vor allem lange Sitzungen in Gesprächsgruppen und
Vorträge am Abend, die sie nicht schwänzen dürfen. Jeden Tag sprechen
sie zudem mit einem persönlichen Berater oder einem Psychologen über
die Schwierigkeiten beim Entzug.
Jüngster war sechs Jahre alt
"Vor eineinhalb Jahren ging es plötzlich los, da kamen Leute mit
Symptomen von Computerspiel-Abhängigkeit. Das war völlig neu!",
erinnert sich Keith Bakker. "Der Jüngste war gerade mal sechs Jahre
alt." Die Patienten sind Menschen, die die Kontrolle über sich selbst
verloren haben, wie Steven Noel-Hill meint. Er ist Tims Betreuer und
war früher selbst abhängig vom Glücksspiel.
"Droge" Computer bleibt im Alltag
"Das sind Kinder, die
sich in ihrer Haut nicht wohl fühlen. Sobald sie aber vor ihrem
Bildschirm sitzen, fühlen sie sich wie Gott." Das Schwierige an der
Therapie von Computerspielsüchtigen sei, dass sie nachher meist
trotzdem wieder einen Computer benutzen müssten und dem Gerät nicht
völlig aus dem Weg gehen könnten.
Zeltlager fördert Teamgeist
Nach den Sommerferien will die Klinik nachmittags für jugendliche
Spielsüchtige offen stehen. In Kürze soll zudem eine 15-köpfige
Gruppe, zum Großteil US-Bürger, zur Therapie nach Amsterdam kommen.
"Wir werden eine Woche im Zeltlager verbringen, mitten in der Natur.
Echte Beziehung besser als Spiel