Linz besitzt kein kulturelles Erbe, keine Hochkultur, darin sind sich Experten und Kulturschaffende einig. Dieses Manko berge auch eine Chance: Linz sei eine Stadt, die mit der Kunst lebe, sie nicht in Museen verbanne. Dies werde aber zu wenig wahrgenommen.

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Linz - Linz ist keine Kulturstadt, behaupten zwei, die es wissen müssen: der Rektor der Kunstuniversität, Reinhard Kannonier, und der Kultur- direktor der oberösterreichischen Landeshauptstadt, Siegbert Janko. Ist es dann nicht paradox, dass Linz den Zuschlag für die Europäische Kulturhauptstadt 2009 erhalten hat?

Nein, lautet wieder die einstimmige Antwort. Zwar verstehen beide unter einer Kulturstadt eine Stadt mit kultureller Vergangenheit, mit "alten, gewachsenen Strukturen"- und die können in der heute knapp 200.000 Einwohner Stadt auch gar nicht existieren. Im Gegensatz zu Salzburg, Graz oder Wien war Linz zudem niemals Residenzstadt. "Und so fehlt das klassische Bildungsbürgertum", sagt Kannonier. Aus der Historie lasse sich "das Manko für Kulturverständnis in der Bevölkerung erklären".

Im 19. Jahrhundert lebte Linz mit seinen 35.000 Bürgern vom Handel, nicht von der Hochkultur. "Es gab nicht einmal eine Oper", führt Janko an. Das habe sich für ihn etwa in dem langen Streit um den Neubau des Linzer Musiktheaters sowie der heftigen Kritik an der Direktorin des neuen städtischen Kunstmuseums, Stella Rollig, gezeigt.

Keine Festspiele

Doch "keinen Rucksack der Vergangenheit mit sich zu tragen"(Kannonier) bot für Linz zugleich eine einmalige Chance. Abseits von (elitären) Festspieltraditionen entwickelte sich eine Kultur im öffentlichen Raum. Oder, wie es Janko nennt, eine "Kultur für alle". Den Anfang machte 1979 die "Klangwolke". Um einem breiten Publikum klassische Musik zugänglich zu machen, wurde eine Anton-Bruckner- Symphonie aus dem Konzertsaal ins Freie übertragen.

Beispiele für öffentliche Kunst seien auch das Linz Fest: das Pflasterspektakel, das derzeit in der oberösterreichischen Landeshauptstadt stattfindet. Dieses Straßenkunstfest hat sich nach 20-jährigem Bestehen zu einer Veranstaltung mit internationalem Renommee entwickelt.

"Linz hat es geschafft, einen Schwerpunkt auf die zeitgenössische Kunst zu legen", sagt auch Stefan Haslinger, Geschäftsführer der Kulturplattform Oberösterreich "Kupf". Auch er sieht das darin begründet, dass Linz "kein kulturelles Erbe besitzt". Als Aushängeschild nennt er das Ars Electronica Center, das Centrum für Gegenwartskunst "OK"oder das Veranstaltungszentrum "Posthof".

Neben diesen Institutionen gelang es auch der autonomen Kulturszene, sich in Linz zu etablieren, mit der "Kupf"als Interessenvertretung. "Das Miteinander der freien Szene und der Big Player"macht das Spannende für Haslinger aus. Gleichzeitig erschwere diese Vielfalt es, Linz als Kulturstadt für Außenstehende greifbar zu machen. Diese Greifbarkeit erwartet er sich von der Kulturhauptstadt 2009. (Kerstin Scheller, DER STANDARD, Printausgabe vom 22./23.7.2006)