Stefan Gmünder sprach mit ihm über das Aufbrechen alter Tabus.


STANDARD: Sie sind in Spanien bei den Dreharbeiten zu Ihrem Film "Der Mord von Santa Cruz" immer wieder auf eine Mauer des Schweigens gestoßen. Wie weit ist Spanien mit der Aufarbeitung seiner schwierigen Geschichte?

Schwaiger: Wenn man bedenkt, dass wir von Ereignissen sprechen, die 70 Jahre zurückliegen und Spanien seit 30 Jahren eine Demokratie ist, nicht sehr weit. Nach Francos Tod haben die Militärs, die demokratischen Parteien und die Nachfolgeparteien des Frankismus einen Schweigepakt geschlossen, der die Verbrechen des Regimes unter den Tisch kehrte. Zwischen 30.000 und 50.000 im Spanischen Bürgerkrieg verschwundene, das heißt erschossene Republikaner liegen in unzähligen Massengräbern. Keine der Regierungen, egal ob sozialistisch oder konservativ, hat dieses Thema aufgegriffen. Von den Institutionen war diesbezüglich nichts zu erwarten, deshalb ist eine Bewegung aus der Bevölkerung selbst entstanden. Und der Druck, der durch diese Exhumierungen über internationalen Medien auf die Politiker entstand, war beträchtlich. Dieses nicht nur für die Politik sehr unangenehme Thema ist auf die politische Tagesagenda gekommen.

Trotzdem bleibt noch unendlich viel zu tun. Es gibt immer noch viel zu wenig Menschen, vor allem Jugendliche, die über die spanische Geschichte, über den Frankismus Bescheid wissen. Es wird noch großer Anstrengungen bedürfen, die Dimension der Tragödie, die Umrisse einer Diktatur, die Hunderttausende ermordet hat, transparent zu machen. Dazu kommt, dass sich die spanische Rechte immer noch nicht klar vom Frankismus distanziert.

STANDARD: Die nach Francos Tod ausgegebene Parole "Vergessen um der Versöhnung willen" wirkt noch?

Schwaiger: In der Bevölkerung auf jeden Fall. Wenn man mit Angehörigen von Opfern spricht, merkt man, dass sie immer noch Angst haben, weil Verbrechen nicht aufgearbeitet wurden. Das heißt, weder wurden Verantwortliche gesucht, noch wurde den Opfern eine Wiedergutmachung zugesprochen. Es gibt ein großes Misstrauen gegenüber den Institutionen. Ein Beispiel: Wenn man in einer Diktatur 40 Jahre lang neben dem Mörder seines Vaters oder des Großvaters leben muss, wie es bei vielen Spaniern der Fall war, dann die Demokratie kommt und nichts passiert, ist das desillusionierend. Misstrauen und Angst werden noch verstärkt, wenn in den Dörfern dieselben, die für die Verbrechen verantwortlich waren und Bürgermeisterposten hatten, in denselben Positionen bleiben. Die Parole "Vergessen um der Versöhnung willen", die in der Transición ausgegeben wurde, wirkt bis heute nach, weil niemand daran glaubt, dass es eine Aufarbeitung geben wird.

STANDARD: Kann es eine Versöhnung ohne Wiedergutmachung geben?

Schwaiger: Das glaube ich nicht, deshalb sind ja auch, wie man hier sagt, die Toten aus den Gräbern herausgekommen. Was von Angehörigen und Opfern verlangt wurde, nämlich ohne Wiedergutmachung zu vergessen, ist auf Dauer psychologisch unmöglich. Auch auf die innenpolitische Situation in Spanien wirkt sich das aus. Der Bürgerkrieg ist im Parlament ein permanentes Thema, allerdings wird er nur indirekt angesprochen. Es hat sich das Schweigen durchgesetzt, unter ihm brodelt aber die Wahrheit. Es gibt so viele Familien die durch den Frankismus in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das Regime hat nicht nur politische, sondern auch soziale Umwälzungen bewirkt. Es hat manchen alles weggenommen, viele sind sozial abgestiegen oder mussten emigrieren.

STANDARD: Das Schweigen als später Sieg des Regimes.

Schwaiger: Das verordnete Schweigen ist sicher der größte Sieg des Frankismus. Das Schweigen und die Angst der Politiker vor der Wahrheit. Durch den Terror, der 40 Jahre verbreitet wurde, hat es der Frankismus geschafft, auch nach 30 Jahren Demokratie zu verhindern, dass sein wahres Bild an die Öffentlichkeit dringt. Es ist erschreckend, wie wenig die Jugendlichen über die Dimension des Frankistischen Terrors wissen. Das Nichtwissen, die Nichtinformation darüber, ist eine Nachwirkung des Regimes, das stark auf diesem Schweigen aufbaute. Das Sprechen über den Bürgerkrieg an Schulen, Universitäten und anderen öffentlichen Stellen war in der Franco-Zeit ein absolutes Tabu - das hat sich bis heute gehalten.

Der Militärputsch 1981 hatte sehr viel damit zu tun, dass in den 70er-Jahren die ersten Exhumierungen stattfanden. "Quieto todos" sagte Tejero, der den 81er-Putschversuch im Parlament anführte. Dieses "alle ruhig" heißt auch: keine Geschichtsaufarbeitung, keine Massengräberöffnungen, keine Auseinandersetzung mit frankistischen Verbrechen. Und tatsächlich sind ab 1981 alle Exhumierungen gestoppt worden.

STANDARD: Was hat Sie als Österreicher dazu bewogen, darüber einen Film darüber zu drehen?

Schwaiger: Es hängt mit der Frage zusammen, die sich mir in Österreich immer wieder stellte, nämlich "Warum habt ihr nichts gemacht?". Der Spanische Bürgerkrieg ist ein Zeichen, dass man gegen den Faschismus kämpfen kann. Ich kam nach Spanien, wo ich nun schon 16 Jahre lebe, und dachte, jetzt kann ich Informationen über den Bürgerkrieg sammeln, etwas aus erster Hand erfahren. Ich bin aber auf extremes Schweigen gestoßen, immer. Erst seit den Exhumierungen weicht bei vielen die Angst, darüber zu reden.

Mich hat interessiert, wie Menschen reagieren, wenn es zu einem Putsch kommt und Terror als politisches Instrument eingesetzt wird. Dabei wurde mir bewusst, wie Terror lähmt und wie stark sich das auf das kollektive Unterbewusstsein eines Volkes auswirkt. Eine Erfahrung, die auch ein Schlüssel war, vieles zu verstehen, was in Österreich passiert ist. Beispielsweise wie Angst, eine Bevölkerung schafft, die politisch manipulierbar ist. Das zeigt sich auch am kleinen Mikrokosmos eines Dorfes, wo einer der Protagonisten im Film sagt: "Plötzlich waren alle rechts." Terror wirkt, hat eine große Effektivität, wenn er systematisch eingesetzt wird. Das war eine wichtige Erfahrung für mich. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15./16. 7. 2006)