Wien - Durchgehend positiv bis euphorisch sind am Freitag die Pressestimmen zu Mozarts "Le nozze di Figaro", das als "Opernereignis des Jahres" bei den Salzburger Festspielen am Mittwoch Premiere hatte. "Ein grandioser Opernabend", urteilt etwa der "Kurier", die "Salzburger Nachrichten" sprechen von einem "Triumph der Ensemblekultur" und "singulären Festspielabend". Gelobt wird insbesondere das Zusammenspiel von Inszenierung und musikalischer Leitung und die Ensemble-Leistung, in die sich auch Anna Netrebko als der Star der Aufführung einfügte.

Dirigent Nikolaus Harnoncourt habe nochmals "Maßstäbe der Mozart-Interpretation" gesetzt, schreibt etwa die "Kleine Zeitung", und weiter: "Zum künstlerischen Festspielereignis gerät diese Neuproduktion, weil das musikalische und szenische Konzept perfekt übereinstimmen. Regisseur Claus Guth reitet keine billigen Zwerchfellattacken, sondern interessiert sich für das komplizierte Beziehungsgeflecht".

Weitere Staatsbürgerschaften "gefordert"

"Das sind wirkliche Festspiele" titelt der "Kurier". Anna Netrebko sei von Christine Schäfer und Ildebrando d'Arcangelo überstrahlt worden. "Daher die Forderung: Gebt den beiden auch sofort die Staatsbürgerschaft!" Und weiter "Wie die beiden agierten, er als Figaro, sie als Cherubino, wie sie ihre Arien nicht nur sangen, sondern gestalteten, wie bei ihnen scheinbar mühelos wirkte, was (vor allem in dieser Inszenierung) so schwer ist, verdient größtes Lob." Lob auch für Guths "brillante Personenführung", für die "brillanten, präzisen Wiener Philharmoniker", die "schon bei den ersten Takten der Ouvertüre nach Harnoncourt klingen". Dieser habe "so lange an der eingerissenen Aufführungstradition" gekratzt, "bis ein Stück übrig bleibt, das man so noch nie gehört hat".

Die Premiere habe schon vom ersten Takt der Ouvertüre an "unverwechselbares Profil" besessen, heißt es in der "Presse". "Expression, wenn auch vornehmlich düsterer Natur, triumphierte im Zweifel über Präzision und Klangschönheit." Ein "zentraler Missgriff der Regie" sei allerdings trotz "poetischer schöner Theatereffekte" der hinzu erfundene Cherubino, der die handelnden Personen entwerte und "zu besseren Statisten" degradiere. "Große Profilierungsmöglichkeit bleibt der ausgewogenen, zumeist untadelig, aber kaum überragend singenden Besetzung da nicht", die man "schon weitaus intensiver erlebt" habe. Nur Christine Schäfer habe klar hervorgeragt, Netrebko immerhin "hübsch und sauber" gesungen.

Burufe "fast eine Auszeichnung" ...

"Ein Ensemble, wie man es sich präziser und besser derzeit nicht vorstellen kann, folgte der radikal irritierenden, aber wohl begründeten musikalischen Leitung von Nikolaus Harnoncourt und einer ebenso angelegten, hoch intelligenten und packenden Regie von Claus Guth, um zu einem Triumph für Mozart zu führen", jubeln die "Salzburger Nachrichten". Anna Netrebko wird als "wunderbare Sängerin" gelobt und als "perfekt passender Teil eines formidablen Ensembles, das erst durch seine Disziplin, Genauigkeit und gemeinsame Musikalität das Glück dieses Abends, Mozart, ermöglichte". Christine Schäfer sei "nichts mehr, nichts weniger als eine Sensation".

Für die "Wiener Zeitung" sind die Buhrufe für Harnoncourt "fast eine Auszeichnung". Harnoncourt habe "Außergewöhnliches getan", die Neuproduktion habe "produktive Neuheit" gebracht. Gelobt werden die "bestens disponierten" Wiener Philharmoniker, die Sängerinnen hätten eine "wirkliche Sensation" geliefert. Abstriche macht das Blatt allerdings bei der Regie: Um Komik zu schaffen, reiche es nicht, "Turbulenz zu stilisieren, Protagonisten in einer Reihe aufzufädeln, hektisch singen zu lassen", insbesondere gegen Schluss hin zeige der Abend Längen, findet der Rezensent: "Will Guth weiterhin im Haus bleiben, muss er seinen Realo-Stil brechen".

... findet auch die "Krone"

"'Figaro' klingt von der Ouvertüre an extrem breit, sehr langsam. Jedes Detail rückt in ein spezielles Licht. Und die Akustik des neuen Hauses für Mozart legt jede Farbnuance und jede Phrase blank. Da klingt das Musizieren der Wiener Philharmoniker wunderschön, gestochen klar, brillant", heißt es in der "Kronen Zeitung" über das "Opern-Ereignis des Jahres". Auch die Besetzung, darunter die "großartige Anna Netrebko" und Christine Schäfer als "hinreißender Cherubino", lasse "keinen Wunsch offen". Die Sänger würden ein "extrem kopflastiges Spiel" perfekt umsetzen. "Dass es für Nikolaus Harnoncourt zuletzt auch Buhrufe gab, wirkte peinlich!"

---> Internationale Pressestimmen

Lobesworte für Netrebko

Auch internationale Medien widmeten am Freitag der Salzburger "Figaro"-Premiere große Aufmerksamkeit. Die Frankfurter Rundschau lobt den "überragenden" Figaro Claus Guths, dessen inszenatorische Lesart "in ihrer Art unüberbietbar konsequent und radikal" sei und dessen "minuziöse Personenregie" eine "handwerklich überragende Arbeit". Harnoncourt sei "Exponent einer höchst ungewöhnlichen und fast verstörenden Figaro-Auffassung, die auch eng mit Guths Eintrübung korrespondierte", "Primadonna" Netrebko werde zum "integralen Faktor eines wunderbaren Ensembles".

"Fast ist ihre Stimme zu groß, zu leuchtend für die Susanna. Anna Netrebko drängt nicht über ihre Figur hinaus, und auch dafür liebt ihr Publikum sie", schreibt der Berliner "Tagesspiegel", bei dem allerdings auch Christine Schäfer den tiefsten Eindruck hinterlassen hat. Größtes Merkmal der Inszenierung, die nicht bohre, sondern "lieber feine Pirouetten" tanze, sei ihre Eleganz; über die Orchesterleitung und -führung heißt es: "Nichts ist hier zu hören von Papierenheit oder penetrant vorexerziertem Originalklang".

"Brillant gespielte Ensemble-Oper"

Einen "radikalen Figaro" würdigt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): "Die Liebesfarce dieser Oper erstrahlt durch Klaus Guths Regiekonzept und die verlangsamte, lauernde Tempogestaltung dieser Aufführung in ihrem ganzen absurden Ernst." Es werde "fast ausnahmslos hervorragend gesungen", allerdings nicht immer angemessen agiert. Christine Schäfer sei ein "faszinierender Cherubino", Netrebeko interpretiere die Susanna mit "nobler Klangsinnlichkeit". Dass die Wiener Philharmoniker "bisweilen berückend" musizierten, verstehe "sich fast von selbst".

Die "Süddeutsche Zeitung" lobt einen "über weite Strecken fulminanten Abend" und die ersten beide Akte als "musikalisch-szenischen Geniestreich": "Harnoncourt und die Wiener Philharmoniker, die des Dirigenten eigenwillig jede Tradition über den Haufen rennenden Vorstellungen glänzend exekutieren, sehen die 'Figaro'-Partitur durch als ein überdimensionales Brennglas, das schonungslos und in Details verliebt die grausigen Seiten dieser 'Opera buffa' aufdeckt." Guth, als der "willige Helfer seines Dirigenten", begreife, was selten sei, die Ensembles und Arien als Seelenräume, die durch die Musik emotional aufgemacht und vom Regisseur in Bilder gefasst werden sollen. Christine Schäfer sei der "Lichtblick in dieser gut bis sehr gut gesungenen und stets brillant gespielten Ensemble-Oper".

Netrebko "tüchtig, wenn auch nicht aufsehenerregend"

Claus Guth sei "ein Meister der psychologischen Feinzeichnung", die Produktion lasse erkennen, von welch feinem Netz Mozarts "Figaro" zusammengehalten werde, heißt es in der "Neuen Zürcher Zeitung". Harnoncourt habe noch nie mit einem Regisseur zusammengearbeitet, der so ausgeprägt am selben Strick ziehe wie er, darin finde die Produktion ihr spezifisches Profil. Anna Netrebko erscheine "als eine Sängerin, wie es viele gibt: begabt, tüchtig, wenn auch nicht aufsehenerregend und schon gar nicht von charismatischer Ausstrahlung". Für formal misslungen hält der Rezensent das Haus für Mozart, die Akustik indes dürfe sich hören lassen.

Für "alles andere als ein gebautes Meisterwerk" trotz Top-Akustik hält auch die deutsche "Welt" das Haus für Mozart. Harnoncourt am Pult der "herrlich gelaunten, lernwilligen und goldrichtigen Wiener Philharmoniker" sei ein "Klangmagier im ewigen Interruptus", dessen Liebe zum Detail allerdings immer wieder ins "Detailklauberische" kippe. Er sei "nahtlos kongruent" mit Claus Guths Sichtweise. Über Anna Netrebko heißt es abschließend: "Als Charakter eine Wonne, vokalstilistisch die Wucht. Nicht der einzige Augenblick des puren Mozart-Glücks." (APA)