Oskar Negt zerbrach sich bereits in Standardwerken wie "Arbeit und menschliche Würde" den Kopf über die Zukunft unserer Arbeitswelt: "Wir erleben einen Umbruch!"

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Der prominente deutsche Soziologe Oskar Negt machte bei der Salon-Reihe "Magazin des Glücks" bei den Salzburger Festspielen seinem Freund und Diskussionspartner Alexander Kluge die Aufwartung: ein Porträt zwischen "Faust", Film und Finanzen.


Salzburg – Unter einem "Magazin des Glücks" muss man sich am ehesten einen Erfahrungsschatzspeicher vorstellen: Der Büchner-Preisträger und TV-Intellektuelle Alexander Kluge, der im Nebenhalt der Salzburger Festspiele die gleichnamige Diskussions- und Filmreihe wie ein agiler, assoziationsallmächtiger Herbergsvater unterhält, agiert darin als Spediteur und Bewegungsmelder.

Kluge (74), der gelernte Jurist, prüft Stoffe, deren melodramatischen Gehalt er penibel beim Nennwert nimmt: Noch die abgelebtesten Konventionen des Bühnentodes, göttlicher Willkür und blinder Schicksalsmächtigkeit unterzieht er intellektuellen Belastungstests.

Kluges Arbeitsprinzip ist demgemäß die Zerreißprobe: Er schöpft ein obskures Ödön-von-Horváth-Fragment von 1932 – eben jenes Magazin des Glücks – aus dem Depot unabgegoltener Möglichkeiten: Was wäre gewesen, wenn Horváth tatsächlich mit Max Reinhardt und Zarah Leander einen Revue-Film gedreht hätte, kurz vor Machtergreifung der Nazis? Kluge: "Die Verhandlungen im Grunewald liefen im Dezember '32 bereits auf Hochtouren."

Varianten des Glücks

Man mag ihm das glauben – doch Kluge, der unter anderen bereits Nikolaus Harnoncourt, Martin Kusej, den Radiophonie-Intellektuellen Fritz Ostermayer und den Satanisten Josef Dvorak auf seinem Podium im Salzburger Kino empfing, um mit ihnen Handlungsabläufe zu erörtern, Varianten menschlicher Glücksanbahnung zu studieren und das Wirken des Teufels vorurteilsfrei zu würdigen, eignet sich Stoffe an, um sie weitergeben zu können. Kluge ist Menschenfreund und Geschichtenerzähler – umso mehr, wenn mit dem Hannoveraner Sozialphilosophen Oskar Negt ein wirklicher Freund und bewährter Diskurspartner vor den Festspieltüren steht.

Negt, zwei Jahre jünger als Kluge, ehemals Assistent von Jürgen Habermas und so etwas wie der Enzyklopäde nicht nur der deutschen Gewerkschaftsbewegung, erdet Kluges Spekulationslust. Er hat ein Buch über Goethes Faust geschrieben, das im September bei Steidl in Göttingen erscheinen wird. Negt glaubt, im Teufelsbündler Faust den Prototypen des Globalisierungsunternehmers ausgemacht zu haben.

Oder, wie Negt sagt: "Meine Beschäftigung mit Faust hat einen biografischen und einen systematischen Hintergrund: Goethe begleitete mein Leben. Was Bildung und Gemeinwesen ausmacht, habe ich von Goethe gelernt." Auch seine Hannoveraner Emeritierungsvorlesung habe von Faust gehandelt. "Ich spreche in der Tat als Nichtgermanist." Das befähige ihn zum Einnehmen ungewöhnlicher Perspektiven.

Negt: "Die Definition dessen, was der Mensch eigentlich ist, wird immer mehr auf die Ebene des 'unternehmerischenTypus' gebracht. Der inwendig gebildete, allseitig gebildete Mensch – wohlgemerkt nicht das 'zoon politikon' des Aristoteles. Der unternehmerische Mensch heute besitzt zwar kein Kapital, aber seine Arbeitskraft. Die soll er nach Kräften auswerten: Diese Argumentationslinie verfolgend, bin ich in Faust auf erstaunliche Ergebnisse gestoßen: Das ist eigentlich ein calvinistischer Unternehmer: 'Wer ewig strebend sich bemüht...' – das könnte heute doch über allen Arbeitsagenturen angeschlagen stehen!"

Der Faust-Pakt verdonnert Faust zur Regsamkeit: Erst wenn er sich auf ein Faulbett lege, sei es "gleich um ihn geschehen". Negt: "Die ewige Betriebsamkeit wird ihm auch von Gott dem Herren abverlangt. Also weist er ihm den Teufel zu, der ihn anstachelt und erregt."

Nun stellt der Begriff "Globalisierung" in Negts intellektuellem Kosmos ein veritables Schimpfwort dar: Ein ideologieproduzierendes Konstrukt, das den Menschen im Wege der "Realabstraktion" seiner konkreten Umwelt entfremdet. Negt ist Soziologe. Wie aber lässt sich sein Denken mit dem Komödienthema im „Magazin des Glücks“ synchronisieren? "Ich habe nie ganz verstanden, warum Goethe seinen Faust eine Tragödie nannte! Das Spiel zwischen Himmel und Hölle hat immer etwas Burleskes an sich. Nur sind Faust und Mephisto auch ein- und dieselbe Figur – Goethe hat sie nur aufgesplittet."

Ob er, Negt, an der österreichischen Gewerkschaftskrise etwas Burleskes entdecken könne? "Die Gewerkschaften sammeln, indem sie weniger streiken, Geld an. Also wollen sie das Geld verwerten! Nur sind sie keine Kapitalisten – also ist auch das Managementpersonal der Anleger nicht qualifiziert." Solidargemeinschaften auf Augenhöhe mit robusten Kapitallogikern: "Das kann nicht gut gehen." (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.8.2006)