Als die immensen Privilegien des steirischen Arbeiterkammerpräsidenten Alois Rechberger ruchbar wurden, rückte ihm Jörg Haider mit Taferl, Staberl und einer Kampagne zu Leibe, die den Kapfenberger Politiker das Amt kostete. Er stand da wie ein Betrüger, der Umlagengelder hinterzogen hat. Das war 1994 und ein früher, aber wirkmächtiger Auftakt der schwarz-blauen Machtergreifung.

Als jetzt der Kärntner Bankenchef Wolfgang Kulterer wegen gigantischer Finanzflops von der Bankenaufsicht mit Absetzung bedroht wurde, machte Jörg Haider ihn zum Opfer einer Jagdgesellschaft und stoppte bloß die ungebremste Privilegiengier. Der Schaden für die Kärntner Hypo ist definitiv höher als der seinerzeitige Gehaltsgriff des Kammerbonzen Rechberger.

Negativ überstrahlt wird der Kärntner Skandal von den Bawag-Verfehlungen und der De-facto-Entmachtung des darin verwickelten Gewerkschaftsbundes. Die ÖVP und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wussten schnell die eigentliche Ursache: "Die SPÖ kann nicht wirtschaften."

Genauso schlüssig ließe sich aus dem Hypo-Skandal ableiten, dass die derzeitigen Regierungsparteien nicht wirtschaften können. Denn die Kärntner Verfehlungen geschahen nicht nur unter den Augen Haiders, sondern auch der letztlich von der ÖVP kontrollierten Grazer Wechselseitigen Versicherung.

Entscheidend war die Schnelligkeit, die öffentliche Sprache mit den richtigen Vokabeln zu besetzen. Was in der Bawag geschah, war sofort ein "Verbrechen", was in der Kärntner Hypo passierte, ein "Unfall". Für das eine sind die Gerichte, für das andere die Spitäler zuständig.

Die Methode der Info-Berater und Lobbying-Agenturen ist klar: Die eigenen Fehler bagatellisieren, die der anderen kriminalisieren.

Daraus folgt zunehmend aber eine Verluderung der politischen Kultur, die Sanktionierung der Diffamierung durch die Machthaber und die Signalwirkung an Meinungsmacher und Multiplikatoren: Wer an der Macht ist, kann auch ein Gauner sein. Wer das Sagen hat, darf den Untergebenen in den Arsch treten.

Beispiel 1: der ORF. Herr Mück, der Chefredakteur, darf Redakteure bedrohen, weil die Inhalte der Bedrohung ohnehin nicht eingetreten sind. Heißt: Wenn der Attackierte überlebt, bleibt der Täter straffrei. Dazu kommt Mücks Behauptung, sein Stil sei auch in anderen Chefredaktionen üblich. Das klingt wie der Versuch eines Schiffbrüchigen, die Kollegen auch noch unters Wasser zu ziehen.

Beispiel 2: die Regierung und ihr Finanzminister. Professionell agierende Politiker erkundigen sich, mit wem sie sich in ein Boot setzen. Karl-Heinz Grasser tut das nicht, weil er gar nicht damit rechnet, auch einmal untergehen zu können. Sein von höchsten Stellen gebilligtes Verhalten wird zum Maßstab, die Grauzonen breiten sich vom Boulevard überallhin aus.

Unter den Augen der Theologen an den Kirchenspitzen vollzieht sich ein rasanter Niedergang der politischen Moral. Die Bischöfe jedoch sorgen sich weiterhin bloß um die Nabelschau der Geschlechter. Kein Wunder, hat der Vatikan im Frühjahr doch in Italien Berlusconi und nicht Prodi unterstützt.

Unter den Augen des Politologen in der Hofburg (der immerhin schon Warntafeln aufgestellt hat) arbeiten entscheidende Teile der politischen Kaste an der Einführung der "Dritten Republik" und in diesem Sinn an der schleichenden Abschaffung der demokratischen Gewaltenteilung. Ein Landeshauptmann lässt den Verfassungsgerichtshof schamlos einen alten Esel sein. Und die Farbexperten im freiheitlichen Lager treiben ihren Markenstreit so weit, dass das Parlament an den Rand seiner Legalitätsgrenzen geraten könnte.

Derweil steht die Premiere eines neuen Medienprodukts ins Haus, das selbst von einem Feuilletonisten der Süddeutschen Zeitung mit einem "neuen Zeitungstyp" verwechselt wurde. Nach journalistischen Kriterien wurde nicht gefragt.

Kratzt das irgendwen? (Von Chefredakteur Gerfried Sperl/DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.8.2006)