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Als Wegweiser im Waldviertel dienen bemooste Wackelsteine, das 700.00 Euro teure Wanderleitsystem oder das Programmheft von Allegro Vivo.

Foto: APA/Barbara Gindl

Einen Orientierungsmarsch durch das Waldviertel stellt man sich deutlich anstrengender vor als jenen, der vom 10. August bis zum 17. September von einem Kulturdenkmal zum anderen führt. "Wegweiser" zu sein ist nämlich nicht nur für Bijan Khadem-Mis-sagh, den künstlerischen Leiter von Allegro Vivo, das aktuelle Motto des Kammermusikfestivals in der 28. Auflage.

Denn das Programmheft liest sich wie "Khadem-Mis-saghs praktischer Reiseführer durch das Waldviertel" - die fünfzig Konzerte finden schließlich in den interessantesten Burgen, Schlössern und Stiften nördlich der Donau statt. So wie der neugierige Besucher hier heroben ganz gerne über die grüne Grenze blickt, tut dies seit Jahren auch das Festival. Heuer mit dem ersten Konzert in der außen noch wunderbar gotischen Klosterkirche von Goldenkron/Zlatá Koruna.

Mozart-Kanalisierung

Orientierungshilfe will Allegro Vivo heuer auch noch auf einem zweiten, zugegebenermaßen schwierigeren Terrain sein, dem Jubiläumsjahr Mozarts. Wenn schon das Finden von Wegen so programmatisch in den aktuellen Zyklus eingeschrieben ist, dachte man sich, dürfe man das auch auf das Köchelverzeichnis anwenden und konzentrierte sich als ausgewiesenermaßen jugendförderndes Festival auf die Schaffensperiode nur bis zu seinem 22. Lebensjahr. Welche musikalischen Wege er selbst in seiner Jugend fand, soll dabei ebenso interessieren wie sein adoleszentes Verhältnis zu Frauen - ein von Eva Maria Neubauer gesungenes Psychogramm wird sich am 29. August im Horner Kunsthaus dieser Frage annehmen.

Nur konsequent also, dass sowohl das erste Konzert am 10. August als auch das Eröffnungskonzert am 13. in der Stiftsbibliothek Altenburg mit Mozarts Colloredo-Serenade begonnen wird, auch wenn man während des gesamten Programms nicht auf den hundertsten Geburtstag von Schostakowitsch vergessen will. Mit dem 800. Geburtstag von Dschalal ad-Din Rumi, dem Gründer des Derwisch-Ordens (der eigentlich erst 2007 von der Unesco ausgiebig gefeiert wird), bekommt das Festival schließlich den Anspruch einer gigantesken Geburtstagsparty im gar nicht so stillen Kämmerlein. Das wird auch von Can Aksel Akin bespielt, der für die Auftragskomposition "Arar" (also den Suchenden) verantwortlich ist, die im Rahmen des "Gastkultur"-Schwerpunktes der Turkvölker produziert wurde.

In den letzten Jahren hatten ja bereits die geladenen Gäste aus der Mongolei, aus Indien und aus Tadschikistan zusätzlich zur Internationalisierung des Festivals beigetragen. Dass ein Kammermusikfestival im bodenständigen Waldviertel nicht aus seinen eigenen vier Wänden hinausblicken würde, dem widerspricht ja schon seit Jahren die rege Beteiligung am begleitenden Kursangebot, das von Musikern aus 29 Nationen mit Begeisterung in Anspruch genommen wird.

Musikalischer Guide

Wer den "Wegweiser Allegro Vivo" auch als touristischen sehen will und mehr als nur einen Konzertbesuch plant (die alle zwischen 15 und 35 ¬ kosten), quartiert sich thematisch geleitet für ein Wochenende ein. Das könnte im Rahmen "weinseliger Mozart-Tage" passieren, die zwei Nächte im Hotel Thaya (in Raabs/Thaya) um 173 ¬ pro Person im Doppelzimmer mit Frühstück garantieren sowie ein Konzert im Stift Altenburg, eines auf der Burg Raabs und eben eine Weindegustation.

Wer ohnehin plant, die Waldviertler in den gleichnamigen Gesundheitslatschen zu besuchen, kann auch gleich so wohnen: Das Dungl-Bio-Vital-Hotel in Gars am Kamp ist kein schlechter Ausgangspunkt, um vom Hammam direkt in den Konzertsaal zu kommen. Für 269 ¬ pro Person im Doppelzimmer entspannt man dort zwei Nächte auf Basis Halbpension, hier sind drei Konzerte mit einkalkuliert, eines im Stift Altenburg, eines im Schloss Ottenstein und eines im Schloss Rosenburg. Welches man wiederum nicht mit dem Schloss Rosenau verwechseln sollte, wo einerseits auch Konzerte stattfinden, das aber andererseits auch einige Geschichten zu bieten hat: Als Treffpunkt für eine Freimaurer-Loge, die Mozart auf seinem Weg nach Prag besucht haben dürfte - nachzulesen im lokalen Freimaurer-Museum.

Auf andere Geschichten wird man von selbst stoßen, etwa bei der Graselwirtin in Mörtersdorf. Das Haus war zuletzt (1815) Aufenthaltsort von Johann Georg Grasel, einem legendären Anführer einer 66-köpfigen Räuberbande. Was wiederum dafür spricht, dass die viel zitierte Mystik und Räubersgschichteln im Waldviertel oft ganz nahe beieinander liegen. (Sascha Aumüller, Der Standard, Printausgabe 5./6.8.2006)