Die Golan-Höhen zeigen in diesen Wochen ihre paradiesische Seite. Die Kirschernte ist in vollem Gang, mit dem Sommer kommen die Touristen, sie wollen wandern, wollen, der Sonne trotzend, die Stille genießen. Schulklassen absolvieren ihre Jahresbesuche und bewundern die Stellungen, aus welchen Israel die Syrer vertrieben hat, wodurch das Land erst zu einem Teil Israels geworden war. In den Kibbuzim, die teilweise bereits 1967 und 1973 - also unmittelbar nach dem Sechs-Tage-und dem Jom-Kippur-Krieg - errichtet worden waren, herrscht Erleichterung. Die veränderte Lage in Damaskus gibt dem Golan eine Atempause. Diese könnte, so hofft man, einige Jahre dauern; und was dann geschieht, ist unvorhersehbar und hat daher heute keine Bedeutung. Der Golan war seit dem Beginn der zähen Verhandlungen zwischen Israel und Syrien zu einer Herzensangelegenheit für ganz Israel geworden. Zwar könne man einen Landstrich nicht deswegen bewahren wollen, weil er außergewöhnlich schön sei, beharren diejenigen, die einen umfassenden Frieden wollen, auf dem Primat der Gerechtigkeit vor der Ästhetik. Aber längst ist es die zweite Generation der Golan-Siedler, die das Tempo bestimmt und die so viel Unterstützung allerorten erhält wie zuvor kaum eine Gruppe im jüdischen Staat. Für sie war der Golan von jeher israelisches Territorium. Die UN-Resolutionen dagegen kennen sie nur vom Hörensagen, bedeuten ihnen lebloses Papier. In Erinnerung haben sie dagegen die obligate historische Legitimation: Israel war angegriffen worden und hatte sich verteidigt, erfolgreich und nachhaltig. Der Staat hatte das Siedlungsprogramm zur Priorität erhoben. Anders als in der Westbank seien die Leute auf den Golan geschickt worden, Unrechtsbewusstsein kann von ihnen nicht erwartet werden. Also hatten sie folgerichtig einen Propagandafeldzug begonnen, der Umfragen zufolge bei der Mehrheit der Israelis auf Zustimmung gestoßen war. Ein Referendum über den Golan wäre in diesem Jahr mit größter Wahrscheinlichkeit zugunsten des Verbleibs bei Israel ausgegangen, womit der Friedensprozess gestoppt und die weitere Entwicklung tatsächlich unabsehbar geworden wäre. Nun aber ist alles anders: nicht dass man auf Bashar Assad große Hoffnungen setzte, ihn als Mann des Friedens, gar als Freund willkommen hieße. Aber es ist doch anzunehmen, dass der Nachfolger des gefürchteten Löwen von Damaskus erst einmal Tritt fassen, sich zunächst im eigenen Land durchsetzen muss. Auf drei Jahre richtet man sich ein, und das ist eine lange Zeit. Dabei widerfährt Hafez Assad durchaus Gerechtigkeit: Er hatte ein Abkommen unterzeichnet, das Sicherheit für den Golan bedeutete, und es war nicht eine Katjuscha vom Himmel gefallen. Sein Sohn ist Arzt, spricht Englisch und will das Internet in Syrien einführen. Auch das ist keine Garantie, erhöht aber die Chancen, dass der Golan nicht mehr vom Justament-Standpunkt aus betrachtet wird. Erstmals erscheint die Möglichkeit einer Art Hongkong-Lösung am Horizont. Die Perspektive von 100 Jahren wird genannt, bis es zur endgültigen Rückgabe kommt. Dies scheint hoch gegriffen. Aber in diesem Jahr schmecken die Kirschen gut wie schon lange nicht, und die Propagandaleute haben sich entschlossen, ihr Programm auf Sparkurs zu fahren. Der Moment ist kostbar, er darf genossen werden, gerade weil morgen schon wieder alles ganz schrecklich sein könnte.