Karl-Michael Brunner: "Ich bin ein typischer Wochenend-Koch und begeisterter Leser von Kochbüchern und Gourmet-Zeitschriften".

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Dass das Thema Nachhaltigkeit in Zusammenhang mit Ernährung die Gemüter zumindest der Europäer durchaus noch zu bewegen vermag, zeigt unter anderem das große Interesse an Dokumentarfilmen wie "Unser täglich Brot" oder "We feed the world".

Die dort gezeigten globalen Megatrends lassen in puncto nachhaltige Entwicklung - der zufolge gegenwärtige Lebens- und Wirtschaftsformen so zu gestalten wären, dass die heutige Generation nicht auf Kosten aller zukünftigen lebt - wenig Hoffnung zu. Etwas optimistischer darf man zumindest auf der Mikroebene sein.

Das Essen mit all seinen sozialen, psychischen, wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Implikationen ist denn auch ein unerschöpfliches Leib- und Lebensthema eines Wiener Wissenschafters. Es bestimmt nicht nur die Ausrichtung seiner Forschungstätigkeit als Soziologe an der Wiener Wirtschaftsuniversität, sondern auch seine ganz privaten Leidenschaften.

"Ich bin ein typischer Wochenend-Koch und begeisterter Leser von Kochbüchern und Gourmet-Zeitschriften", bekennt der Ernährungs- und Umweltsoziologe Karl-Michael Brunner. "Wenn ich für Freunde koche, kommen schon an die fünf, sechs Gänge auf den Tisch" - vor allem leichte mediterrane Gerichte von Pasta über Fisch bis zu erlesenen Suppen.

Dass seine kulinarischen Happenings weitestgehend den Prinzipien der Nachhaltigkeit entsprechen, ist der ebenso praxis- wie theorieerprobte Gourmet und begeisterte Anhänger der Slow-Food-Bewegung seinem aktuellen Forschungsgegenstand "Ernährung und Nachhaltigkeit" schuldig. Im mitunter stressigen Berufsalltag ist es mit der "politisch korrekten" Ernährung schon nicht mehr ganz so leicht.

McDonald's-Niveau

Auf McDonald's-Niveau hat es den 48- jährigen Italienfan und Weinkenner mit Hang zu exquisitem Bordeaux bislang aber trotzdem noch nie hinabgeschleudert: Neben Innereien jeder Art stehen Big Mac & Co seit jeher auf seiner persönlichen schwarzen Liste - "ansonsten bin ich aber ziemlich experimentierfreudig".

Für seine These, wonach der Grundstein für das Interesse an Ernährung sowie die Bereitschaft für eine nachhaltige Praxis meist schon in der Kindheit gelegt wird, ist Karl-Michael Brunner übrigens selbst der beste Beleg: "Ich wurde von meiner berufstätigen Mutter relativ früh zum Kochen einfacher Gerichte angehalten und musste bereits als Bub eine gewisse Ernährungsverantwortung für meine beiden jüngeren Schwestern übernehmen."

Traumatisiert hat ihn diese Kindheitserfahrung offensichtlich nicht - immerhin ist er nach dem Studium der Erziehungswissenschaft und der Soziologie über die Umweltforschung voller Wissenshunger wieder zum vertrauten Ernährungsthema zurückgekehrt: "Da es in diesem Kontext wissenschaftlich noch überhaupt nicht bearbeitet war, hat mich die Sache von Anfang an sehr gereizt."

Mittlerweile ist die Forschungslandkarte dank Karl-Michael Brunners umfangreicher Publikationsliste zum Thema um einige weiße Flecken ärmer: Die jüngste Monografie erschien 2005 unter dem Titel Nachhaltigkeit und Ernährung im Campus-Verlag, das Buch zum aktuellen Projekt "Ernährungspraktiken und nachhaltige Entwicklung" soll heuer erscheinen.

"Gott sei Dank gibt es in diesem Bereich noch immer sehr viel zu tun", freut sich Brunner. So hat der Ernährungssoziologe bereits ein neues Projekt in Arbeit, für das er gemeinsam mit Forschungspartnern und mehreren Firmen an der Entwicklung nachhaltiger Produkte und deren Vermarktung feilt.

Das in seiner kürzlich fertig gestellten Studie zu den Ernährungspraktiken der Österreicher gesammelte Wissen über die Erfolg versprechendsten Anknüpfungspunkte an nachhaltige Muster dürfte sich dabei als durchaus hilfreich erweisen. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 9. August 2006)