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Hermann Quitt gespielt von Philipp Hochmair

Foto: AP /Kerstin Joensson
Salzburg - Konzerntragödien sind die Königsdramen von heute. Man findet sie tagtäglich im Wirtschaftsteil der Zeitung, meinte Martin Walser erst kürzlich im Standard-Interview. Nur sind diese Imperien inzwischen exterritorial geworden, zu beweglichen Gebilden. Ihre Größe bemisst sich am Aktienkurs.

Die Chefs sind egoistischer, sie schwitzen nicht Blut für ein Reich oder für eine Familientradition, sondern zur Genesung des eigenen läppischen Ichs. In Peter Handkes frühem, großartigem Stück Die Unvernünftigen sterben aus (1973) tritt so ein Starunternehmer an die Rampe und sprudelt dort vor Subjektivität. Er hat, im Unterschied zu seinem Diener Hans (Hermann Scheidleder), das uneingeschränkte Recht auf persönliche Empfindungskundgabe ("[&] ich möchte so sein, wie mir zumute ist").

Starunternehmer Quitt ist kein Macbeth, der die Krone nimmt und eben tut, was ein König tun muss. Die Tragödie ist: Hermann Quitt, der empfindungswillige Konzernboss, entwickelt Interesse an seinem Ich. Dieser Mann weiß, wie man Geschäfte macht, aber er weiß nicht, wie weit man dabei in sich selbst vordringen darf.

Quitt hat sich selbst schon so ausgiebig erkundet, sein Ich so oft gewendet, dass es innerlich bereits ganz glatt poliert erscheint. So glatt, wie es die Plexiglasfronten seines Lofts zurückspiegeln (Bühne/Kostüme: Sabine Kohlstedt).

Regisseurin Friederike Heller lässt im Republic diesen jungen, mit Frohsinn gedopten Yuppie (sehr gut: Philipp Hochmair) in ihrer Inszenierung sich deshalb immer wieder aus dem graublauen Anzug herausschälen und alsbald wieder in ihn zurückschlüpfen. Mit Unternehmerkollegen gründet dieser Kapitalist ein Kartell, um dann die Preisabsprachen nicht einzuhalten und seine "Freunde" zu ruinieren. Wenn man vom eigenen Ich schon nicht loskommt (höchstens in Erinnerungen an das alte, unschuldige Ich), dann nütze man es wenigstens! Als Schweinehund für die eigene Produktivkraft.

Ein jeder hat in dieser lächerlichen Demokratie ein Rednermikrofon, doch nur einer, eben Quitt, bläst den anderen den "Final Countdown": Harald von Wullnow (Rudolf Melichar) predigt von den schrecklichen Wolfsgesetzen des freien Marktes und ist unterm nämlichen Fell selbst als solcher verkleidet; Jörg Ratjen in Pfarrerskluft gemahnt an den Tod, der später einmal sowieso alle gleich mache; Markus Meyer gibt genial einen Dandy mit Föhnfrisur, und auch der hübschen Paula Tax (Dorothee Hartinger) nützen weder Reitgerte noch "echte" Gefühle, um den Verräter weichzukriegen.

Friederike Heller hat den Handke-Blues. Die 31-jährige Regisseurin, seit drei Jahren regelmäßig am Burgtheater tätig, ab Herbst fix am Staatsschauspiel Stuttgart engagiert, wurde bereits für des Autors Untertagblues am Akademietheater als Nachwuchsregisseurin 2005 ausgezeichnet. Mit Die Unvernünftigen sterben aus bleibt sie in dieser Liga. Heller besitzt großen Sinn für Sprache und Melodie und den Dreh für eine wunderbar lapidare Form zu deren Ineinandersetzung. Bis zur Wiener Premiere am 5. September im Akademietheater könnte man höchsten an der Wischmopp-Praxis Hermann Scheidleders noch feilen. (Margarete Affenzeller/ DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.8.2006)