Am 15. Februar 1948 saßen der Komponist Gottfried von Einem und der Regisseur Oscar Fritz Schuh im Stadttheater von Chur in der Schweiz. Sie waren zur Uraufführung der Antigone in der Bearbeitung von Bertolt Brecht gekommen, die Titelrolle spielte dessen Frau Helene Weigel; inszeniert hatte das Stück Caspar Neher. Beeindruckt machten sie dem Autor und dem Regisseur den Vorschlag, ständige Mitglieder der Salzburger Festspiele zu werden, an deren Wiederbelebung sie arbeiteten.

Für Bertolt Brecht, seit seiner Ausbürgerung durch die Nazis als Staatenloser in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt, war dies mit der verlockenden Aussicht auf die österreichische Staatsbürgerschaft verbunden, ohne sich mit den Kontrollinstanzen der Besatzungsmächte in Deutschland herumschlagen zu müssen. Sein Gesuch, sich in München niederzulassen, wurde vom dortigen US-Kulturoffizier nach Rücksprache mit dem FBI und der CIA abgelehnt.

Die Einladung, für die Salzburger Festspiele als Dramaturg tätig zu werden, verband Brecht mit dem Beginn an der Arbeit für einen Salzburger Totentanz. Zugleich blieb er mit Einem in ständiger Verbindung wegen der Staatsbürgerschaft; er argumentierte auch, dass seine Frau Helene Weigel gebürtige Österreicherin sei. Der Komponist warb beim Salzburger Landshauptmann und im Unterrichtsministerium mit dem Hinweis, welcher Gewinn der aus der Vorkriegszeit bekannte Brecht für die Festspiele sein würde. Und das überzeugt: 1950 bekam Brecht den österreichischen Pass. Allerdings war er da schon in Ost- Berlin, wo ihm sein großer Wunschtraum erfüllt wurde: er erhielt eine großzügig subventionierte Bühne, das Theater am Schiffbauerdamm, wo er mit seinem "Berliner Ensemble" arbeiten und experimentieren konnte. (Was übrigens keineswegs ohne Schwierigkeiten abging: die Oper Das Verhör des Lukullus musste sehr bald als "dekadent" und "formalistisch" abgesetzt werden - aber das ist eine andere Geschichte).

Als die Einbürgerung Brechts in Österreich erst nach Jahresfrist bekannt wurde, war der "Kalte Krieg" bereits voll ausgebrochen. Im Oktober 1951 eröffneten die Salzburger Nachrichten ihren Lesern: "Kulturbolschewistische Atombombe in Österreicher abgeworfen". Sehr rasch bildete sich eine antikommunistische Allianz, die von Viktor Reimann, dem Mitbegründer des VdU, bis zu den aus der Emigration heimgekehrten Kritikerpäpsten, dem Schriftsteller Friedrich Torberg und dem Journalisten Hans Weigel reichte. Torberg war damals Chefredakteur des Forum, einer von US-Stellen gesponserten Monatszeitschrift "für kulturelle Freiheit", die sich gegen angenommene oder tatsächliche kommunistische Versuche der Infiltration des Kulturlebens wandte und in den ständigen Hinweisen auf die Bevormundung und Verfolgung von Künstlern und Intellektuellen eine - grundsätzlich notwendige - Hauptaufgabe sah.

Dass der von Torberg und Weigel, und auch von Jacques Hannak in der Arbeiterzeitung ausgerufene Boykott aller Brecht-Werke das Bekenntnis zur kulturellen Freiheit zur Strecke brachte, wurde in dieser Zeit des geradezu hysterischen Antikommunismus, so sehr er auch angesichts der politischen Vorgänge speziell in den Nachbarländern Tschechoslowakei und Ungarn verständlich war, ignoriert. Die wenigen besonnenen Stimmen, die das nicht akzeptieren wollten, wie Friedrich Heer, wurden sehr rasch zu "Kryptokommunisten": als Heer den Kritiker Hans Weigel einen "kleinen Mac Carthy" nannte, wurde er wegen Ehrenbeleidigung verurteilt.

Während die Behörden in Bund und Land, die Brechts Einbürgerung durchgeführt hatten, offenbar mit vollen Hosen die Schuld auf Gottfried von Einem abschoben (und damit ihre Ahnungslosigkeit in Kulturdingen bloßstellten), begann für alle Brecht-Stücke ein de facto Aufführungsverbot; selbst so von KP-Ideologie weit entfernte Werke wie die Dreigroschenoper fanden in Wien auf keiner Bühne Platz. Die einzige Ausnahme war das kommunistische Neue Theater in der Scala, an dem Bertolt Brecht gespielt wurde und einmal auch inszenierte. Aber dessen renommierte Schauspieler wurden von Hans Weigel ohnedies als "kommunistische Agenten" tituliert - womit er sich allerdings eine Verurteilung zuzog.

Friedrich Torberg war sogar sehr stolz auf seinen Kampf gegen Brecht. In einer Rede in West-Berlin rühmte er sich 1961: "Ich habe als Theaterkritiker, als Herausgeber einer kulturpolitischen Zeitschrift und auf jeder anderen mir zugänglichen Plattform nach besten Kräften darauf hingewirkt, dass Brecht in Wien nicht gespielt wird. Ich bin dafür mitverantwortlich, oder, wie einige von Ihnen es vielleicht lieber formuliert hören würden, ich bin daran mitschuldig."

Während man so in Österreich lange Jahre der in der Nazizeit großgewordenen und danach heranwachsenden Jugend die Werke des wohl bedeutendsten deutschen "Stückeschreibers" des 20. Jahrhunderts vorenthielt, gab es in der Bundesrepublik Deutschland, die doch an vorderster Front gegen eine allfällige sowjetische Bedrohung stand, keinen derartigen Boykott. Wahrscheinlich wäre man mit einem Dramaturgen Brecht für Salzburg wohl auch ohne dessen Brandmarkung als Kommunisten (übrigens war er nie Mitglied der Kommunistischen Partei) im doch eher muffigen, an austrofaschistische Traditionen anknüpfenden kulturellen Klima der frühen Nachkriegsjahre in Streit geraten.

In seinen Geschichten vom Herrn Keuner schrieb Brecht: "Herr K. zog die Stadt B. der Stadt A. vor. 'In der Stadt A.', sagte er, 'liebt man mich: aber in der Stadt B. war man zu mir freundlich. In der Stadt A. machte man sich mir nützlich; aber in der Stadt B. brauchte man mich. In der Stadt A. bat man mich an den Tisch; aber in der Stadt B. bat man mich in die Küche."

Möglicherweise hat Österreich seinem an den Verwüstungen des Hitler'schen Kahlschlags laborierenden Kulturleben mit seinem widersprüchlichen Verhältnis zu dem zuerst zum Landsmann auserkorenen und dann verdammten Bertolt Brecht eine fruchtbringende Chance vermasselt. (Manfred Scheuch/ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.8.2006)