"Schnecken-Winkler"
Nun ist das Seehotel Winkler nicht irgendeine Touristen-Absteige mit Seeblick, sondern eben der weithin berühmte "Schnecken-Winkler", seit vielen Jahrzehnten das Synonym für ein stilvolles Strandbad, ein kleines Hotel und ein legendäres Restaurant, wo es frische Schnecken und Flusskrebse gibt, wo aber vor allem Reinanke, Zander und anderer Wildfisch aus dem See mit geziemender Sorgfalt verbraten werden. Im Ganzen natürlich, um bei Tisch mit rasanter Fingerfertigkeit tranchiert zu werden. Seit Jahrzehnten gibt es dazu Petersilkartoffel, grünen Salat und diverse buttrige Saucen, die zwar wunderbar zum Fisch passen, aber halt alles andere als modern sind.
Und an solch einen Ort erhabener Traditionspflege wird plötzlich ein Über-Koch vom Schlage Manuel Weyringers versetzt, der Zeit seines Wirkens bei Don Alfonso immer für drei Michelin-Sterne gut war. Man kann verstehen, wenn die Alteingesessenen meinten, sich um ihre angestammten Leckerbissen sorgen zu müssen.
Dafür war freilich zu keinem Moment ein Anlass gegeben. Im Gegenteil, wie Weyringer mit entwaffnendem Lächeln festhält: "Ich müsste ja verrückt sein, wenn ich das unverwechselbare Konzept des Betriebs so einfach über den Haufen werfen wollte. Ich hab eine Riesenfreude, genau das, was es hier immer schon gegeben hat, so gut wie möglich zum Tisch zu bringen." Bei 120 Gedecken, die an einem Sommerabend auf der grünen Wiese unter der alten Eiche Platz haben, sei es ohnehin Illusion, Sternenküche bieten zu wollen.
Schnecken, Thunfisch, Kalmare
Neben den seit jeher besonders fleischigen Schnecken, die in milder Kräuter- oder ordentlich geknofelter Pfefferbutter gebraten werden, sind es vor allem zwei Vorspeisen, die wegen Weyringers charakteristischer Pranke besonders herausgestellt gehören: Frischer Thunfisch wird in halbzentimeterdicke Scheiben geschnitten, damit der tolle Schmelz des Fleisches zur Geltung kommt, und ziemlich sizilianisch mit Zeste von Zitrone und Orange sowie erstklassigem Olivenöl mariniert. Wenig Basilikum, ein paar Kristalle grobes Meersalz dazu, fertig ist ein Manifest der italienischen Art des Fischverzehrs. Grandios sind auch die gebratenen Kalmare, die mit milder Knoblauchkonfitüre (sic!), schwarzen Oliven und Kapern lauwarm angemacht werden und denen ein Schuss 15-jährigen Balsamicos verschwenderisch süße Opulenz verleiht.
Bei der Reinanke vom Rost wird dann offenbar, warum Weyringer sich noch so gerne als Bewahrer sicherer Werte einspannen lässt: An der Gräte zu schlichter Perfektion gebraten, das Fleisch vor Saft förmlich strotzend, die Haut golden knusprig und ohne jeden Ton zu stark erhitzten Fetts - so und nicht anders will der magere Wildfisch behandelt werden.
Dazu sitzt man auf geschmackssicherem Gestühl in der grünen Wiese und blickt auf den abendlichen See, wo späte Badegäste aus dem Wasser schlüpfen. Durch die Birken am Strand geht zart eine Brise, Senior-Chef Rudolf Bauer sitzt bei ein paar Gästen und steckt sich formlos eine Zigarette an, während der Rotznase am Nebentisch ohne hochgezogene Augenbraue der Ketchup zum Schnitzel gereicht wird. So soll es sein. Wer Sternenküche sucht, der wird in Salzburg bekanntlich viele gute Adressen finden. Für wilden Fisch und Entspannung am See gibt's den Winkler.
(Severin Corti/Der Standard/rondo/18/08/2006)