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Foto: AP/ KERSTIN JOENSSON

Salzburg – Seinen blutigen Herrscherrock schleift Titus hinter sich her wie ein Kind seine Kuscheldecke, die ihm auch keinen Schutz vor Ängsten bietet. – Martin Kusejs Lesart der Geschichte vom Herrscher, der das Gute will und stets das Böse schafft, überzeugt in ihrer Radikalität fast noch mehr als bei der Premiere 2003: Diese Wiederaufnahme von "La Clemenza di Tito" – ein musikalischer und szenischer Triumph.

"Nehmt mir die Herrschaft ab oder gebt mir ein anderes Herz", singt Titus, dem nichts an einer Treue liegt, die nur eine Frucht der Angst wäre. Vielleicht macht's die Lage in Nahost (aber wann wäre die je beruhigend gewesen), dass einem heuer zu Titus als Erstes Sophokles' Antigone einfällt: "Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da." Michael Schade (als Titus stimmlich überzeugend) scheint die gepeinigte Seele bis zum Wahnsinn, bis zur Farce, zu entblößen. Das irritiert zunächst, entwickelt aber ungeheure Sogkraft in der sonst schnörkellosen Inszenierung. Der Marmorpalast (Bühnenbild: Jens Kilian) wird zum Seelengefängnis. Musikalisch war dieser Titus eine Offenbarung: Nikolaus Harnoncourt dirigiert die Philharmoniker und legt mit seiner – keineswegs übertriebenen – Langsamkeit Feinheiten offen wie der Regisseur die Seelenabgründe. Wenn Annio über den geliebten Herrscher singt "... jetzt macht er mich zittern", zittern auch die Bögen der Geigen auf den Saiten.

Harnoncourt begleitet die Sänger nicht, er scheint sie mit Umsicht und dem Wissen um jedes einzelne Atemzeichen durch die Aufführung zu tragen. In den Ensembles konnte man – bei ausgewogenem, strahlendem Gesamtklang – jeder Stimme folgen. Erst gegen Ende machten die langsamen Tempi den Sängerinnen ein wenig zu schaffen.

Dorothea Röschmann ist die rachsüchtige Zicke Vitellia, die, vom Kaiser verschmäht, den Burschen Sesto verführt und dazu bringt, Titus zu ermorden. Die Röschmann agiert – wohl der Rolle, aber nicht immer ihrer doch eher lyrischen Stimme entsprechend – überaus dramatisch und zupackend im Ansatz, was gelegentlich Registerbrüche zur Folge hat. Nachdem Vitellia sich als Anzettlerin der ganzen Verschwörung zu outen entschlossen hat, enträt sie in ihrer Schlussarie aller Hoffnungen auf Kaiserhochzeit und Herrschaft: eine der berührendsten Szenen. Vesselina Kasarova ist ein darstellerisch scharf profilierter Sesto. Die Kasarova brillierte mit der zentralen Arie Parto, Parto und ließ deutlich die Zweifel spürbar werden, ob es denn, bei aller Leidenschaft, sinnvoll ist, als Liebesbeweis für die Frau den besten Freund zu ermorden.

Eine starke Szene, die weniger als andere Passagen an der – zuletzt an der Sopranistin zu beobachtenden – Manieriertheit litt, tiefere Töne aus scheinbar noch tieferen Gründen des Brustregisters heraufzuorgeln. Veronica Cangemi hat kurzfristig – souverän – die Rolle der Servilia, der Schwester Sestos, übernommen. Wie sie als Einzige dem – ohnehin gütigen Herrscher – die Wahrheit zu sagen wagt, lässt deutlich werden, wie sehr hier archetypische Sehnsuchts- oder Angstfiguren gezeichnet sind und nicht Kaiser vergangener Tage. Malena Ernman überzeugte mit strahlendem Sopran und lockeren Koloraturen als Annio, Servilias Geliebter und Freund Sestos. Luca Pisaroni als "Beamter" Publio hat stimmlich an Präsenz und darstellerisch an Kontur gewonnen. Sein Bassbariton war die profunde, doch schlank geführte Basis für die sopranglänzenden Ensembles.

Nur mit den Revolutionen hat Kusej zu kämpfen: Sein Brandstifter in Titus' Riesenpalast wirkte etwas verloren. (Heidemarie Klabacher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.8.2006)