Rechtsanwalt und Universitätsprofessor Richard Soyer

Foto: Heribert Corn
Dass Übergriffe und Unregelmäßigkeiten mit möglicher strafrechtlicher Relevanz vorkommen, ist eine Alltagserfahrung, die im Rechtsstaat nicht weiter beunruhigt, sondern diesen vielmehr auf die Probe stellt. Polizei-Skandale hat es immer gegeben und wird es wohl immer geben. Unruhe macht sich aber dann breit, wenn Missstände im Bereich der Exekutive auf gravierenden Systemmängeln beruhen, nicht bekannt oder nicht konsequent verfolgt werden.

Der Fall Omofuma war ein solcher "Super-GAU im Rechtsstaat". In meinem Kommentar "Wer kontrolliert die Kontrolleure?" (Der Standard, 26.5.1999) vertrat ich die Meinung, der Fall Omofuma zeige in aller Deutlichkeit, dass der Exekutivbereich längst zum Staat im Staate geworden sei, der sich weder auf die Beachtung der Menschenrechte verpflichten noch auch nur ansatzweise kontrollieren lasse. Die gegen die Beamten verhängten, relativ milden Urteile rundeten das unerfreuliche Gesamtbild ab.

Seither hat sich einiges zum Besseren gewendet. Ich denke in diesem Zusammenhang an die Intensivierung der Kontrolltätigkeit des Menschenrechtsbeirates bei Verdacht von Polizeiübergriffen. Auch die Einrichtung des Büros für Interne Angelegenheiten (BIA) im Innenministerium im Jahr 2001 ist positiv einzuschätzen. Überdies ist mit dem Strafprozessreformgesetz 2004 eine umfassende Reform des strafprozessualen Vorverfahrens zustande gekommen, die - mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2008 - eine geänderte Struktur des Ermittlungsverfahrens vorsieht.

Enge Kooperation

In Hinkunft wird die Staatsanwaltschaft in enger Kooperation mit der Kriminalpolizei das Vorverfahren leiten, Staatsanwälte dürfen künftig auch in eigener Person Ermittlungen, wie Vernehmungen von Zeugen oder Beschuldigten, durchführen. Damit wird ihre Stellung im Vorverfahren nachhaltig gestärkt und die Qualität der Ermittlungen verbessert. So weit, so gut.

Die bekannt gewordene Verdachtslage gegen zwei Spitzenrepräsentanten der Wiener Polizei ist hier nicht zu würdigen. Das haben die anhängigen Strafverfahren zu leisten. Die Vorfälle sind aber Anlass, über die nicht wegzudiskutierende Irritation des Rechtsstaates nachzudenken.

Der im Fall Omofuma krass zutage getretene Systemmangel war, dass immer dann, wenn sich ein Verdacht gegen (leitende) Polizeibeamte oder gar gegen eine Gruppe von Sicherheitsorganen richtet, vom Innenressort unabhängige Ermittlungen faktisch nicht möglich sind. Österreichweit standen damals 27.000 Exekutivbeamten rund 250 Staatsanwälten und 150 Untersuchungsrichtern gegenüber. An diesem Kräfteungleichgewicht hat sich substanziell nichts geändert. Auch nach Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes 2004 wird die Staatsanwaltschaft nicht über echte Ermittlungsressourcen verfügen, sodass fraglich ist, wie sie ihre künftige Leitungsbefugnis ausüben soll.

Die von mir seinerzeit erhobene Forderung, zum Zweck der Kontrolle der Kontrolleure eine spezialpolizeilich ausgebildete Sondereinheit von 1000 justizpolizeilichen Ermittlungsbeamten bei den Staatsanwaltschaften (sohin außerhalb des Einflussbereiches des Innenressorts) einzurichten, ist aktueller denn je. Das BIA als potenziell willkürlich einsetzbares Instrument zur Austragung von "Grabenkämpfen" im Sicherheitsapparat und als Vernaderungsstelle ist jedenfalls strukturell gesehen keine optimale Lösung. Nur eine justizpolizeiliche Ermittlungstruppe unter der Ägide der Staatsanwaltschaft wird auch dem äußeren Anschein nach objektive, faire Aufklärungen und Verfahren gewährleisten.

Geänderte Haltung

Über diese strukturelle Änderung der Ermittlungspraxis hinaus könnten die bekannt gewordenen Vorfälle auch zu einer geänderten Haltung der Justiz gegenüber der Sicherheitsexekutive führen. Schien es bisher üblich zu sein, Angaben von Polizeibeamten - sei es in Anzeigen gegen Dritte oder als Rechtfertigung gegenüber erhobenen Vorwürfen - relativ unkritisch zu übernehmen, ist dieser Vertrauensbonus wohl für längere Zeit verspielt. Nur so ist es erklärbar, dass eine Richterin in öffentlicher Hauptverhandlung laut APA-Meldung vom 17. 8. 2006 nicht nur den beiden angeklagten Polizeibeamten keinen Glauben schenkte, sondern auch die Zeugenauftritte von zwei Kollegen "gelinde gesagt als Frechheit" bezeichnete.

Die aktuelle, teils hausgemachte "Dekonstruktion" des Polizeiapparates könnte mithelfen, das Verhältnis und Zusammenwirken von Justiz und Sicherheitsexekutive dem Prinzip der Gewaltentrennung entsprechend stärker auszudifferenzieren. Den unerfreulichen Vorfällen können somit auch positive Aspekte abgewonnen werden. (Richard Soyer*/DER STANDARD-Printausgabe, 22.08.2006)