Vor allem im Bereich der Kulturpolitik ist es in Österreich beinah schon zur Regel geworden, den Wert künstlerischer Arbeit und auch deren Resonanz beim Publikum und in den Medien von unabhängigen Gremien oder gar von einem Rudel für sündteure Honorare anreisender Unternehmensberater evaluieren zu lassen. Der öffentlich zwar nie ausgesprochene Anlass für derlei Maßnahmen ist in der heimlichen Hoffnung der Auftraggeber zu suchen, durch die Ergebnisse solcher Bewertungen ließe sich eine Reduzierung oder vielleicht gar völlige Streichung der Subventionen rechtfertigen.

Und dies, obwohl allen Beteiligten klar sein müsste, dass es für die Beurteilung von Kunst und künstlerischer Arbeit keine in einem solchen Ausmaß stichhaltigen Kriterien gibt, die nicht durch Gegenargumente ins Wanken gebracht werden könnten. Auffällig ist allerdings, dass man sich gerade in jenen Bereichen, in denen sich Leistungen mit unwiderlegbarer Präzision messen ließen, derlei Evaluierungen gegenüber strikt abstinent verhält.

Auch hiefür gibt es gute Gründe, über die man in der österreichischen Öffentlichkeit besser nicht spricht und schon gar nicht schreibt. Würde man beispielsweise die ausschließlich mit Steuergeldern finanzierte Entlohnung der gegenwärtig am Ruder befindlichen österreichischen Bundesregierung nach den Folgen bemessen, die ihre Tätigkeit für die Mehrzahl der Staatsbürger brachte, gebührte den in diesem Ensemble mitwirkenden Damen und Herren wohl nicht mehr als der Bezug eines Beamten der Dienstklasse C.

Für die in diesem Land schon seit Längerem politisch für die Bereiche Kunst, Kultur und Geisteswissenschaft zuständigen Damen und Herren wäre sogar eine monatliche Zuwendung in der Höhe des Notstandsgeldes völlig ausreichend. Denn im Hinblick auf die Untätigkeit, die dieser Teil der Regierungsmannschaft immer wieder an den Tag legte, könnte man mit gutem Gewissen von einer vom Rest der Regierungsmannschaft beifällig geduldeten Dauerarbeitslosigkeit sprechen.

Die vom Chef der kleinen Regierungspartei eingemahnte Umschulung von Dauerarbeitslosen zu Altenhelfern wird den Betroffenen wohl erspart bleiben. Man braucht sie als zumindest physisch wahrnehmbare Repräsentanten für die in allen Farbsektoren des politischen Regenbogens gleichermaßen fehlenden Bewusstseinsbereiche von Kunst und Kultur.

In einem nämlich sind sich alle rivalisierenden Parteicapos offenbar einig: Mit Kunst und Kultur kann man keine Quoten machen.

Dass die inhaltliche und rhetorische Schamschwelle sämtlicher wahlwerbenden Parteien hinsichtlich Kunst und Kultur beinahe schon zur Grube wurde, liegt jedoch nicht allein an den Politikern. Zu einem Streit gehören immer zwei.

Und auch für die Auslagerung aller Bereiche, die man schick als "Orchideenfächer" verachtet, sind nicht nur die von den Musen zugegebener Maßen nicht innig geküssten Politiker, sondern wohl auch die Vertreterinnen und Vertreter dieser politisch vernachlässigten und zum Teil schon schwer ramponierten Bereiche schuld.

Den Beitrag zu dieser kontaktlosen Koexistenz von Politik und Geisteswissenschaft, Kunst und Kultur leisten die Exponenten der letztgenannten Gebiete vor allem durch die subalterne Willfährigkeit, mit der sie einerseits politische Ignoranz von Gott (=Politiker) hinnehmen, sich dann aber wieder mit prostitutiver Bereitwilligkeit zur Dekoration diverser Anlässe als Statisten missbrauchen lassen.

Ein Künstlerheuriger, bei dem der Einladende seine Achteln mutterseelenallein trinkt, ein Kanzlerfest, an dem teilzunehmen sich zumindest jene zu gut sind, die die Geistesfeindlichkeit des Regimes und auch dessen geizendes ökonomisches Kalkül immer wieder zu spüren bekommen, wären für die Gastgeber ebenso blamable wie heilsame Lektionen, die ihnen undank der bis zur Ehrlosigkeit reichenden Eitelkeit der brav Antänzelnden wohl nie erteilt werden.

Ebenso wie es in Österreich wohl ganz undenkbar ist, dass ein Künstler, auch wenn er, wäre es nach der zuständigen Kulturpolitik gegangen, längst hätte verrecken können, eine öffentliche Auszeichnung ablehnt. Keiner, der sich letztlich nicht doch dem linkischen Ritual, das derlei Ordensverleihungen begleitet, nicht willig unterziehen würde.

So darf es nicht verwundern, dass die Politik insgesamt und die Kulturpolitik im Speziellen gegenüber Geisteswissenschaft, Kunst und Kultur nicht jenes einzige Gefühl verspürt, auf das sie reagiert, die Angst.

Dieses Fehlen der Angst begünstigt jenen totalen Containanceverlust, den nicht einmal mehr die in diesem Land sonst so peinlich beachtete politische Korrektheit mehr aufhalten kann. So sieht sich zum Beispiel der "Orpheus Trust", der sich zehn Jahre lang mit beachtlichem internationalen Echo Dokumentation und Publikation des Schaffens von während der NS-Zeit verfolgter Komponisten widmete, mangels Interesses seitens der öffentlichen Hand, insbesondere des Bundes, gezwungen, seine Arbeit Ende dieses Monats einzustellen.

Vielleicht gibt es in der Slowakei auch Pfleger für ein sieches kulturpolitisches Verantwortungsbewusstsein oder gleich eine für Billiglohn arbeitende Regierungsmannschaft. (DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.8.2006)