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Aus mit Schnitzel, Burger, Tschik und Co. Der moderne Wohlstandsmensch lebt künftig gesund. "Gesundheit wird zur gesellschaftlichen Leitwährung", schreiben die Autorinnen der Studie "Gesundheitstrends 2010". Anette Huesmann, Anja Krig und Elke Wenzel sehen bei ihrem Blick in die nahe Zukunft den "Wandel von der Symptom-Medizin zur neuen Gesundheitskultur". Die Konsumgesellschaft entwickelt sich zur Gesundheitsgesellschaft, die orientierungs- und identitätslosen Kinder des Konsums bekommen mit dem Gesundheitsmarkt einen neuen Sinngeber. Der Markt wird boomen, schließlich sei die Gesundheitsbranche "die margenträchtigste überhaupt". Aus dem Wert Gesundheit wird die Ware Gesundheit. Denn: "Wohlfühlen und Gesundheit sind ein Milliardenmarkt."

Wohlstandsfaktor Gesundheit

Kein Wunder, dass da "althergebrachte Genussmärkte erodieren"- etwa jener der Tabakbranche. Das Rauchen, "die uralte Kulturtechnik", verschwinde in der westlichen Welt immer mehr aus der Öffentlichkeit und damit auch die Werbekampagnen der Konzerne. Gesundheit wird zur neuen Signatur von Wohlstand und Modernität. Beim Nikotinverzicht wie beim bewussten Essen und Trinken. Nikotinsucht und Übergewicht überlässt der übersättigte und geläuterte Konsument denen, die den Wohlstand erst lernen müssen.

LOHA - Neuer Lebensstil

Das passende Kürzel für die neuen Gesundheitsbewussten heißt Lohas und kommt aus den USA. Dort beweist eine rege Community, dass der "Lifestyle of Health and Sustainability" (LOHA) nichts mehr mit abgedroschenen Bio-Klischees zu tun hat. Die Lohas "zelebrieren Gesundheit", so die Trendstudie, "die Konsumkritik und die Vorteile für Umwelt und Tiere stehen nicht im Vordergrund bei der Entscheidung pro Bio, sondern der Fokus liegt primär auf der eigenen Gesundheit". Die Lohas wollen sich nicht länger zwischen gesund sein und genießen entscheiden müssen, sie wollen beides. In den USA entstehen bereits Bio-Konsumtempel - in Österreich zeigen junge Haubenköche erstes Interesse am Loha-Lebensstil.

Trendwende

Die Großkonzerne haben den Gesundtrend genau im Auge, wie die Autorinnen aufzeigen: Coca-Cola kauft sich Mineralwasserfirmen, Brauereien steigen in den Erfrischungsgetränkemarkt ein, Food-Konzerne werben bereits mit dem neuen Lifestyle-Produkt gesunde Ernährung. "Good Food, Good Life", wissen die Werber des Food-Riesen Nestlé. Danone wirbt mit "Besseres Essen, besserer Geschmack, mehr gesunde Freuden". Auch Kraft-Foods macht auf gesund und will den Menschen weltweit helfen "to eat and live better".

Darling Wasser

Wasser ist der Liebling auf dem neuen Gesundheitsmarkt. Die Autorinnen sprechen von einem "Wasser-Hype". Wassertrinken entspricht wie das ebenfalls weiterboomende Laufen und Gehen dem Trend zur Einfachheit. Weil aber ganz pur all- zu gewöhnlich sein könnte, kommt Wasser künftig in vielen Verkleidungen daher: als Fruchtsaft oder Tee ohne Konservierungs- und Zuckerzusätze. Oder begleitet von allerlei Zutaten aus der Natur-, aber auch aus der Chemieküche. Dann wird Wasser zum dynamischen Sport- oder Performance-Drink, zum Diätmittel, Verdauungshelfer oder Cholesterinsenker. Kein Wunder, dass der Bier- und Alkoholkonsum weitersinken wird und die Verlierer, die Brauer, nach neun Märkten suchen - und diese in den Apotheken, künftig "Gesundheitshäuser", finden könnten. Wie eine deutsche Brauerei, die mit einem Leichtbier, mit Kräutern und Essenzen - ganz auf Frauengesundheit und Frauengeldtaschen ausgerichtet - aktuell einen Probelauf durch 22 Apotheken macht.

Gesundheit auf dem Vormarsch

"Functional Food", Nahrungsmittel, die Gesundheitseffekte versprechen, bleiben weiter auf dem Vormarsch. Innerhalb von fünf Jahren stieg der Markt in Europa um 43 Prozent auf rund vier Milliarden Euro. Die Skepsis gegenüber Gesundheitsversprechungen der Getränke- und Nahrungsmittelindustrie steige jedoch, bemerken die Studien-Autorinnen: "Europäische Konsumenten empfinden Lebensmittel- und Getränkefirmen als noch unglaubwürdiger als Banken, Versicherungen oder Autohändler." Und das seien alles Vorbehalte, die Biofirmen künftig für sich nutzen könnten.

Gentechnik

Während Nahrungsergänzungsmittel, Vitamin- und Mineralstoffpräparate den Weg aus den Apotheken in die Supermarktregale finden werden, bleibt die Pharmapflanze weiter Zukunft. Obwohl die Forschung bei der Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen "überraschend weit" sei, so die Studie, sei die Produktion noch unrealistisch. Die Scheu vor "grüner Technik" sei noch zu groß und deren Kontrollierbarkeit noch nicht garantiert. Malaria gegen Reis oder Bananen gegen Diabetes blieben weiter eine "schöne Vorstellung".

Für die gesunde Ernährung gilt wie für den gesamten Gesundheitsbereich der Zukunft: Beratung und Information sind Trumpf. Verhaltensratschläge lösen Diättipps und Rezepte ab. Die Patientinnen und Patienten werden souveräner und kritischer und informieren sich umfassend; Ärztinnen und Ärzte werden zu Gesundheits- und LebensberaterInnen. (DER STANDARD, Printausgabe, Jutta Berger, 28.8.2006)