Wien - Für Liebesgesänge I-II hat Peter Kern (Buch und Regie) die Essenz von Jean Genets einzigem Film Un chant d'amour, einem schwülen Kunstfilm von 1950, in die heutige Zeit übersetzt. Was also damals wie heute als unikale Mischung aus homoerotischen Lust- und Gewaltfanta-sien vereinsamter Sträflinge ihrem Wärter und einem atemraubenden Randgesellschaftsbild gilt, bahnt sich seinen Weg in eine verlassene Wiener Beislszenerie.

Altweiber-Sadismus

Dort verharrt ein verlebter Altstar (Miriam Goldschmidt) in blasierter Selbstliebe, um die nächstbeste Menschenansammlung mit Zuwendung zu beglücken. Und weil's dafür schon lange keine Opfer mehr gibt, hat sie ihren Altweiber-Sadismus gänzlich für den zwangsdemütigen Ehemann (Heinrich Herki) und den Kellner (Günter Bubbnik) aufgespart: "Du bist der Neger. Du wirst uns jetzt dienlich sein."

Gewaltbereitschaft

In diese Unwirtlichkeit platzen Lucien (Andreas Bieber) und Java (Oliver Rosskopf), deren autoaggressive bis gehässige Charaktere Genets Film entliehen sind, als homosexuelles Mikrouniversum. Aus der Kollision entspinnt sich ein Wettkampf aus lustvoller Gewaltbereitschaft und ungebremstem Voyeurismus - ein Panoptikum der Grausamkeiten mit Musical-Intermezzi (Musik: Peer Raben).

Körperkult

Es ist vor allem Kerns klugem Stücktext und der überragenden Leistung von Goldschmidt zu verdanken, dass die auf die Bühne gestellte Bruchlinie zusammenhält. Die homoerotische Frivolität, in die Rosskopf und Bieber ihre Rollen kleiden, wirkt dafür umso hölzerner. Gepaart mit der klapprigen Brutalität des Wärters (Herki) kann die szenische Hommage an Genet zu Beginn mit dem brachialen Körperkult des stummen Originals nicht mithalten. Die Zellenwand muss umfallen, um als Beislboden den Raum für feinsinnigeren Sadismus aus der sozialen Abstellkammer zu öffnen. Ein insgesamt gelungener archaischer Theaterabend im Künstlerhaus. ( Georg Petermichl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2./3.9.2006)