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Kanzler Schüssel während seiner Rede zum Wahlkampfauftakt in Graz.

REUTERS/Der Plankenauer

Graz – Die ÖVP hat heute in Graz im Beisein von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel offiziell ihren Wahlkampf eröffnet. In seiner 35-minütigen Rede kündigte Schüssel an, in der kommenden Wahlauseinandersetzung "positive Stimmung" machen zu wollen. "Wir brauchen die anderen nicht schlecht reden." Die ÖVP solle mit ihren "eigenen Stärken" punkten.

Der ÖVP-Chef meinte, der Wahlauftakt werde von einer Reihe guter Nachrichten begleitet. Er verwies auf die Wachstumsprognose der Oesterreichischen Nationalbank im Ausmaß von drei Prozent. "Wir haben damit sogar die Amerikaner im Wirtschaftswachstum überholt", so Schüssel. Die zweite gute Nachricht sei die "Trendwende am Arbeitsmarkt". Der Kanzler kündigte an, in den kommenden vier Jahren diese Trendwende fortsetzen zu wollen. So sollen 150.000 zusätzliche Arbeitsplatze geschaffen werden.

Die Zahl der Arbeitslosen soll um 30.000 bis 40.000 reduziert werden. "Wir dürfen den Blick auf die Vollbeschäftigung nicht vergessen", meinte der ÖVP-Chef. "Sozial ist, wer Arbeit schafft." In diesem Zusammenhang dürfe es auch keinen Klassenkampf gegen Unternehmer geben.

Mitarbeiterbeteiligung

Weiters kündigte der Kanzler an, die Mitarbeiterbeteiligung in Unternehmen zu stärken. Derzeit seien rund sechs Prozent der Arbeitnehmer an ihrem Unternehmen beteiligt. Diesen Anteil will Schüssel – gefördert durch staatliche Anreize – verdoppeln.

In Sachen Bürokratie versprach Schüssel eine weitere Modernisierung. "Es muss der Akt laufen, nicht der Mensch." Neuerlich skizzierte der Kanzler die bereits angekündigte Steuerreform für die nächste Legislaturperiode. Karl-Heinz Grasser sei ein Garant für diesen Weg, der Finanzminister sei zwar "parteifrei, aber nicht parteifern", so Schüssel wörtlich.

Zwei-Klassen-Medizin

Beim Thema Gesundheitspolitik kritisierte Schüssel das Plakat der SPÖ, auf dem von einer Zwei-Klassen-Medizin die Rede ist. "In welchem Land leben diese Plakateure eigentlich", fragte er sich: "In Österreich gibt es keine Zwei-Klassen-Medizin. Jeder, der Hilfe braucht, bekommt sie auch."

Im Energiebereich möchte der Kanzler bis zum Jahr 2020 den Wert der erneuerbaren Energie von derzeit 20 Prozent auf 45 Prozent mehr als verdoppeln. "Wir müssen unabhängig werden von Erdöl und Erdgas", so sein Credo.

Seitenhieb auf Koalitionspartner BZÖ

Beim Sicherheitskapitel gab es von Schüssel einen Seitenhieb auf den Koalitionspartner BZÖ. Ohne den Namen des Spitzenkandidaten Peter Westenthaler zu nennen, wies er dessen Kritik an Innenministerin Liese Prokop entschieden zurück. "Wenn dieser Jemand glaubt, er wird Innenminister, dann habe ich sehr starke Zweifel, dass der auch nur in Nähe dieses Ministeriums kommt." Die Themen Bildung und Europa rundeten die Wahlkampfauftaktrede des ÖVP-Spitzenkandidaten ab.

Als "Einpeitscher" hatten zuvor die lokalen Politiker Hermann Schützenhöfer (Landeshauptmann-Stellvertreter) und Siegfried Nagl (Grazer Bürgermeister) fungiert. Nagl bezichtigte die SPÖ der Lüge, Schützenhöfer griff das Leitthema der ÖVP auf, nämlich die angebliche Unfähigkeit der SPÖ in Sachen Wirtschaft.

"Nadelstreifsozialisten"

Schützenhöfer rief dem ÖVP-Publikum zu, dass "Nadelstreifsozialisten" in der Karibik 3,5 Milliarden Euro versenkt hätten. "(Alt-ÖGB-Präsident Anton) Benya würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, was aus seinem ÖGB geworden ist." Der ÖVP-Politiker kritisierte den verzweifelten Versuch der SPÖ, sich aus dem Staub zu machen. Die SPÖ müsse sich ihrer Verantwortung stellen.

"Eine solche Partei darf nicht ans Ruder", so das Resümee Schützenhöfers. Er zitierte Konrad Adenauer mit den Worten: "Alles, was die Sozialisten vom Geld verstehen ist, dass sie es von anderen haben wollen." Sein Schluss: "Wenn Gusenbauer ans Ruder kommt, ist das ein Anschlag auf die Brieftaschen aller Österreicher." Am 1. Oktober gehe es um Wolfgang Schüssel oder Alfred Gusenbauer, "um Verlässlichkeit oder Unverlässlichkeit."

"Volkseigentum" Wasser

Nagl nahm sich in seiner Begrüßungsrede der SPÖ-Plakate an, auf denen er nur "Peinlichkeiten und Lügen" ausmachen konnte. So sei es eine glatte Lüge, wenn die SPÖ plakatiert, die ÖVP wolle das Wasser verkaufen. "Dabei haben wir einen Bundeskanzler, der in Brüssel dafür sorgt, dass das Wasser Volkseigentum und unangetastet bleibt."

Gut 8.000 Besucher – so ein Polizeioffizier zur Zahl der Besucher – fanden sich zur Kanzler-Rede knapp vor Mittag auf den Hauptplatz ein, viele davon eher interessierte Beobachter. Die in zahlreichen Bussen in die Steiermark angereisten ÖVP-Funktionäre und Mitglieder hatten sich mit Fahnen und Transparenten direkt zwischen der vor dem Rathaus errichteten Bühne und dem Erzherzog-Johann-Brunnen postiert, um Stimmung zu machen. Am Rande des Hauptplatzes fiel der Applaus zu den Ansprachen nur halb so frenetisch aus. Zwischendurch sogar bei VP-Anhängern Skepsis, als Finanzminister Karl-Heinz Grasser das Wort ergriff und seine parteipolitische Unabhängigkeit betonte: "Der ist unabhängig und tragt einen ÖVP-Schal?" fragte ein älterer Steirer schmunzelnd, gleichfalls mit rot-weiß-rotem VP-Schal angetan.

Ordnerdienst

Der ÖVP-Ordnerdienst war jedenfalls auf Draht: Als sich Angehörige der SJ der SPÖ näherten – die zuvor am nahen Jakominiplatz die Kampagne "Ich wähl' mein Leben zurück" gestartet hatten – und noch dazu eine ORF-Kamera in der Nähe war, stellten sich sofort mehrere junge VP-Aktivisten – mit zum Siegeszeichen gespreizten Fingern – vor ihre "roten" Altersgenossen.

Manche Standler am Hauptplatz waren mit der Veranstaltung nicht ganz glücklich: "Wenn hier was Großes stattfindet, sind zwar viele Leute da, aber das wirkt sich nicht aufs Geschäft aus. Eher im Gegenteil." Das dürfte sich nach Abschluss der Kanzler-Rede verbessert haben: Die mehreren tausend Zuhörer strömten den Standln in der Herrengasse zu, in die umliegenden Schanigärten und auf den Schlossberg. (APA)