"Fellnerismus" nennt der Wiener Autor und Falter-Chefredakteur Armin Thurnher jene Art der Publizistik, in der Marketing und Journalismus ineinander übergehen und die Grenze zwischen Kommerz, Politik und Leben zusehends verschwimmt. Österreich, das neueste und bisher ambitionierteste Produkt der Brüder Fellner, ist ein Großunternehmen und ein Glanzstück des Fellnerismus.

Es ist wahr, dass Kurier und Kronen Zeitung neben dieser neuen Konkurrenz alt aussehen. Aber ob "alt" unbedingt "schlecht" bedeutet, ist Ansichtssache.

Der Kurier hat mit einer Änderung seines Titellogos und diversen inhaltlichen Adaptationen im Vorhinein auf Österreich zu reagieren versucht, die Krone blieb souverän auf Linie.

Gegenpole

Der alte Hans Dichand und der mittelalte Wolfgang Fellner sind denn auch die Gegenpole des österreichischen Boulevardjournalismus, beide erfolgreich, beide innovativ, beide autoritär, beide umstritten. Origineller ist immer noch Dichand.

Wenn die Krone die Bauernstube von Herrn und Frau Österreicher senior ist, in der neben dem Kräuterpfarrer Weidinger zu Zeiten auch Staberl mit seinen Antisemitismen Platz fand, ist Österreich die Autobahnraststätte mit Fastfood-Menü für den Junior und dessen Freundin.

Die Fellner-Medien stehen politisch leicht links von der Volkspartei. Ideologische Kreuzzüge sind ihre Sache nicht. Sie machen sich (anders als Dichands Krone) nichts aus so genannten Edelfedern, dafür umso mehr aus so genannten Promis. In Österreich schreiben bewährte ehemalige News-Journalisten plus mehrere Prominente, deren wichtigste Qualifikation zu sein scheint, dass sie in größeren Kreisen bekannt sind. Egal in welchen und wofür.

Ich bin zeitungssüchtig. Mein persönlicher Maßstab, ob sich das In-die-Hand-Nehmen einer Zeitung oder eines Magazins lohnt, ist die Zahl drei. Wenn drei Texte drin sind, an denen man "hängen" bleibt - ob Leitartikel, Kurzmeldung oder nur eine einzige witzige Formulierung, die man sich merkt -, ist der Test bestanden.

Billigwarenhaus

In der ersten Österreich-Ausgabe fand ich mit einigem guten Willen immerhin zwei bemerkenswerte Chronikgeschichten (die Frau, die zweimal am Todessprung von der Autobahnbrücke gehindert wurde und beim dritten Mal dennoch sprang; und die Starfotografin, die ihren brutalen Freund ermorden lassen wollte) sowie die Idee von Karl Löbl, die Wiener Philharmoniker brauchten, entgegen ihrer Tradition, einen Chefdirigenten.

Ist das neue Blatt eine Bereicherung für die notorisch brustschwache österreichische Zeitungslandschaft?

Ja, wenn man davon ausgeht, dass mehr Printmedien auf jeden Fall besser sind als wenige, dass Konkurrenz belebt, dass junge Journalisten und Journalistinnen Chancen bekommen und dass auf einem lebendigen Markt immer wieder neue Produkte entstehen müssen, wenn die Branche nicht einschlafen soll.

Das neue Fellner-Produkt ist sicher kein extravaganter Feinkostladen, sondern eher ein Billigwarenhaus. Es hat eine Menge Sachen im Angebot - keine Spezialitäten, sondern abgepackte Gebrauchsware für den Massenkonsum. Aber diejenigen, die über derlei die Nase rümpfen, mögen sich damit trösten, dass der hiesige Massenjournalismus gegenüber dem britischen immer noch ein Ausbund an Seriosität und Anstand ist.

Gemessen an Rupert Murdoch, dem König des Genres, ist Wolfgang Fellner ein Aufklärer. (DER STANDARD; Printausgabe, 4.9.2006)