Ich bin ein Fernsehkind. Es gibt keinen Augenblick meines Lebens, in dem nicht irgendwo ein Fernsehapparat vorkommt. Ein schweres Schicksal. Wenn meine Schulfreundinnen und Schulfreunde schlimm waren, wurde ihnen das Taschengeld gestrichen. Wenn ich etwas auf dem Kerbholz hatte, fasste ich Fernsehverbot aus. Weil man mit dem Verbot den Reiz des Verbotenen erhöht, wurden aus meinen Schulfreunden Bankdirektorinnen und Finanzdienstleister. Aus mir wurde eine Fernseherin. Das schwarze Kästchen ist mein Fenster in die Welt.

Meine frühesten außerfamiliären Erlebnisse fanden stets an einem Mittwochnachmittag statt und handelten von einem gewissen "Kasperl". Kasperl war mein Freund, aber was ich nicht verstand, war, warum er sich mit der pelzigen Klette abgab. Petzi hieß der Kerl, er dichtete schlecht und war eine Rampensau. Für einen Lacher hätte er seine Großmutter verkauft. Seinen Freund Kasperl sowieso. Kasperl hatte alle Ingredienzen einer guten Serie: den wöchentlichen Termin, die schrullige Hauptperson in bedenklichen Familienverhältnissen, den billigen Plot und das kleinbürgerliche Milieu. Kasperl junkte mich an für diesen Serientypus. Aus Dornröschengeschichten in Schlössern, Vorstandsetagen und Millionärsvillen würde ich mir fürderhin nichts machen. Schlechte Karten für Gute Zeiten, schlechte Zeiten, Reich und Schön, Dallas und Dynasty.

Kaputte Prolo-Familie

Die kaputte Prolo-Familie war mein Ding. Eine Serie war die meine, sobald es in ihr genetisch kriselte oder im Freundeskreis krachte. Flipper, der dauerglückliche Lagunenhund, kam bei mir an, weil bei den Flipperischen zuhaus die Kacke am Dampfen war. Sandy und Bud, die beiden "Jungs", waren ständig in zu kleinen Booten auf dem bösen Meer unterwegs, Mutter gab es keine – vielleicht war "tot" aber auch nur ein Serien-Synonym für "durchgebrannt". Und Daddy? Daddy war ja selbst noch ein Kind. Die Lesart, dass hier eventuell ein schwuler Onkel mit zwei Boyfriends einen frühen Traum vom Leben abseits der bürgerlichen Kleinfamilie lebte, sollte mir erst später gelingen.

Jeannie, die wasserstoffblonde Irakerin, zwinkerte sich augenblicklich in mein Fernsehleben und ebenso leicht gelang das Samantha, der nasewackelnden Vorstadthexe. Beide hatten Knallchargen als Männer und ein Pandämonium an Problemen mit ungläubigen Freunden, neugierigen Nachbarn und abgedrehten Familienmitgliedern aus anderen Dimensionen. Jeannie und Samantha dürften für meine Sozialisation als Künstlerin mehr gemacht haben als sämtliche Zeichenstunden. In amerikanischen Serien konnte man überhaupt sehr viel lernen. Dass Türen – wie in Lieber Onkel Bill – keine Schnallen brauchten, Puppen "Mrs. Beasley" heißen durften und Löwen – wie in Daktari – schielen konnten.

Deutschsprachige Serien hingegen waren verstaubt und belehrend, wenn sie in Österreich gemacht wurden zudem noch auf eine einschläfernde Art bürgerlich-folkloristisch. Das sollte mein zweiter Held nach Kasperl ändern. "Mundl", der Elektriker aus der Hasengasse im Zehnten, war ehrlich und unverblümt und mit einer Präzision aus dem wirklichen Leben geschnitten, die mich spätestens dann schaudern ließ, als mein eigener Dusl-Vater die Sylvesterrakete ins Fenster vom Flickschneider gegenüber feuerte und wie bei den Sackbauer’schen zur Verdunklung aufrief.

Kaputter war gescheites Fernsehen nie

Mag sein, dass sich anders sozialisiertes Publikum in den Lafites der Lieben Familie wiederfand – mein Ideal einer proletarisch gebeutelten Familie verkörperten die Sackbauers mit Grandezza. An diesem Genre versuchten sich später auch Al Bundy, Roseanne und die Familie von Malcolm mittendrin. Dem vorlauten Pelzwuschel "Alf" werfe ich hingegen heute noch vor, seine Fadgas verströmende Gastfamilie nicht schon in der ersten Folge mit vergifteten Steaks um die Ecke gebracht zu haben. Den Beweis, dass Großstadtfamilien nicht notwendigerweise genetische Übereinstimmung brauchten, um mich aufs Sofa zu fesseln, sondern nur clevere Plots, realistische Settings und oblique Charaktere, sollten erst Friends und der ungeschlagene Meister des zwerchfellbeschädigenden Serienvergnügens führen: Larry David in seiner Rolle als meschuggener Fernsehserienerfinder Larry David in Curb Your Enthusiasm. Kaputter war gescheites Fernsehen nie. (DER STANDARD; Printausgabe/Album, 9./10.9.)