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Der Österreich-Pavillon: Friedrich Kieslers Raumstadt-Modell

Foto: APA/SAMMLUNG BOGNER WIEN
Auf der seltsamsten Architekturbiennale, die Venedig je gesehen hat, demonstriert die Baukunst vor allem eines: Hilflosigkeit angesichts der Probleme der rasant wachsenden Metropolen. Ute Woltron aus Venedig "Architektur und Gesellschaft" lautet der Titel der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig, und nichts weniger als Manifeste für die Städte des 21. Jahrhunderts hatte Richard Burdett, der britische Direktor der renommiertesten Architekturschau, eingefordert.

Die Hauptausstellung befindet sich wie gewohnt im Arsenale. In den Gemäuern vergangener Jahrhunderte präsentiert Burdett 16 Megacitys von heute. Den Sprung in mögliche Visionen eines Morgen schafft er nicht.

Der Weg führt geradlinig durch São Paulo, Mexico City, London bis nach Mumbai und Schanghai. Statistiken über Bevölkerungswachstum, Einwohnerdichte, Einkommensverhältnisse pflastern farbenfroh die lange Tour. In Sound-Trommeln darf man verinnerlichen, wie es dort hupt, plaudert und klingelt. Flugbilder transportieren die Besucher über endlose Häusermeere. Standbilder zeigen Slums, Wohnsilos, Hochhäuser.

Am Ende des Weges steht die Erkenntnis, dass uns Burdett mit großem Aufwand erklärt, was wir bereits wussten: Die Stadt ist groß. Die Stadt wächst. Wohin? Das wiederum wissen wir leider nicht.

So tadellos und vorbildlich die statistische Aufarbeitung des Phänomens Stadt sein mag: Die eingeforderten Konzepte, wie Architektur und Städtebau mit diesem enormen Wachstum umgehen könnten, welche Parameter künftig wichtig sein werden, welcher Instrumente man sich bedienen könne - die blieben aus. Was bleibt, ist vielmehr die Frage: Wo findet eigentlich "Architektur" mit dem möglicherweise aus der Mode gekommenen Ansatz, die Lebensumstände der Menschheit zu verbessern, großformatig überhaupt noch statt?

Kein Wunder, dass die Vertreter dieser hehren Zunft am Ende der Städtetour nicht selten fassungslos ins Freie taumeln. Der französischen Architektin Odile Decq etwa entfuhr mit einer Bemerkung die Vernichtung der eigenen Branche: "Diese Ausstellung demonstriert nichts anderes, als dass Architektur nicht mehr gebraucht wird." Das mag ein voreiliger Schnellschuss sein, denn ein paar Kanäle weiter zeigen die Länderausstellungen in den Pavillons der Giardini zumindest vereinzelt, wie sich Architekten sinnvoll in das Turbogeschehen einbringen können.

So hat sich etwa das kleine Dänemark mit dem großen China zusammengetan, wo sich immerhin 1,3 Milliarden Menschen in einer gewissen Aufbruchsstimmung befinden. Baute man für sie ruck-zuck Städte nach "westlichem", also ökologisch desas-trösem Vorbild, bedeutete das eine Umweltverpestung des Globus binnen kürzester Zeit. Die Chinesen wissen darüber Bescheid. Kaum eine andere Nation forscht intensiver an ökologisch vertretbaren Konzepten, und da internationaler Know-how-Transfer nicht nur den Aktienmarkt beschleunigt, tun sie sich mit thematisch Bewanderten, wie den Dänen, zusammen, um konkrete Stadtplanungen in Angriff zu nehmen.

Ansonsten sind die meisten der Länderschauen anstrengende Collagen unendlich vieler Bildchen und Images. Deutschland beschränkt sich in akkurater Präzision auf die Demonstration, wie die gewachsene europäische Stadt mittels Einsprengseln zeitgenössischen Bauens herausgeputzt wird. Langweilig.

Küche und Koch

Ein fröhliches, gleichwohl seit den 60ern auch nicht sonderlich originelles Statement liefert Frankreich: Der Pavillon wurde zur Villa erklärt, in der bis zu 25 Leute in Kojen hausen, auf Dachaufbauten saunieren und duschen können, das Zentrum bildet die Küche mit Koch samt Gehilfen. Nett - aber so what?

Großbritannien überfordert seine Besucher mit einer wütenden Bilder- und Informationsflut über die Stadt Sheffield, anhand derer die Modifikationen der ehemaligen Arbeiterstadt und die Einfluss nehmenden Faktoren demonstriert werden. Immerhin.

Österreich hat das Pech, am Ende des Areals einen Pavillon bespielen zu müssen, den kaum jemand findet und der derzeit aufgrund überalterter, zeitgerecht vor Eröffnung den Geist aufgebender Tor-Rollläden nur über den Hintereingang betretbar ist. Letzteres stellte sich aber als Glücksfall heraus, denn der engagierteste Beitrag, das "Netz" von Gregor Eichinger, befindet sich eben hier, im hinteren Teil des Hauses: Digital perfekt aufbereitet wird demonstriert, dass "Stadt" mehr ist als Häuser und Stromkabeln, dass neue Netzwerke verschiedenster Art den Globus umspannen und die herkömmlichen städtischen Strukturen in den Köpfen der Menschen in Auflösung begriffen sind.

Friedrich Kieslers Raumstadt-Modell und Hans Holleins Flugzeugträger in den nunmehr hinteren Bereichen dürfen als ergänzende Weg-bereiter dieses Die-Dinge-anders-Denkens und des Vernetzens betrachtet werden. Und das ist auch das Fazit dieser Schau: Ohne massive interdisziplinäre Anstrengung verliert die Architektur ihre Berechtigung und ist tatsächlich tot. Die leere, fesche Hülle, sie hat ausgedient. Das Baumaterial der Zukunft wird erst durch das Bündeln von soziologischem, ökologischem, technischem Know-how entstehen. (Ute Woltron, DER STANDARD, Printausgabe vom 9.9.2006)