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Die leicht zu bedienende Software von Google Earth entwickelt sich immer mehr zu einem beliebten und zielführenden Werkzeug der Wissenschafter.

Foto: AP/Google.com
London - Um die Natur zu erforschen, ziehen Geowissenschafter über Land, schippern über Meere, steigen auf Berge. Der Amateurforscher Emilio Gonzáles machte eine geologische Entdeckung am Schreibtisch. Am Monitor erspähte er auf dem digitalen Globus von Google Earth in der Sahara einen bisher unbekannten Meteoritenkrater. Deutlich zeichnet sich die ringförmige Struktur im Wüstenboden ab.

Gonzáles ist nicht allein. Die Weltkugel der Suchmaschine Google eröffnet Millionen den Zugang zur Erforschung des Heimatplaneten. Zusammengesetzt aus Satellitenfotos und anderen Luftbildern erlaubt das Programm, die Erde auf bequeme Weise auszukundschaften.

Aber auch bei Wissenschaftern hat Google Earth den Entdeckergeist geweckt. Nicht nur neuem, sondern auch vorhandenem Wissen haucht die digitale Erde Leben ein: Forscher nutzen Google Earth, um ihre Erkenntnisse zusammenzuführen. So entsteht erstmals ein Weltatlas des Lebens. Alle Daten über Lebewesen des Planeten, die bislang in Museen, Botanischen Gärten und Universitäten versteckt waren, werden auf Google Earth erfasst. Die Habitate von Millionen Spezies können bereits eingesehen werden, das internationale Forschernetzwerk Global Biodiversity Information Facility mit Sitz in Kopenhagen hat sie bereitgestellt.

Die Datenbank mache aus trockenem Lehrbuchwissen über den Fundort einer Tierart "phantastische Informationen", sagt der Geograf Klaus Greve von der Universität Bonn, der an dem Projekt beteiligt ist. Denn auf Google Earth erkenne man die Umwelt jedes Lebewesens, seine Lebensumstände würden deutlich. Eine Zusatzsoftware mache zudem auf verschiedenen Zeitfenstern sichtbar, wie Tiere und Pflanzen sich ausgebreitet haben. Der Blick auf die digitale Natur lasse dann erkennen, ob Umweltveränderungen oder der Mensch Tiere oder Pflanzen verdrängt oder begünstigt hätten.

Eine kleine Wissenschaftsrevolution zeichnet sich also ab. Bisher brauchten Forscher Geoinformationssysteme (GIS), um wissenschaftliche Daten geografisch einzuordnen. Die GIS-Karten erlauben jedoch nur lokale Animationen - und sie sind schwer zu erstellen. "Um am Computer über eine dreidimensionale Landschaft fliegen zu können, benötigten Studenten ein Jahr Unterricht", berichtet Michael Goodchild, GIS-Experte an der University of California in Santa Barbara im Wissenschaftsblatt Nature. "Mit Google Earth kann das ein zehnjähriges Kind."

---> Bebenstudien und Eisbergforschung

Stadtplaner, Klimaforscher und Seuchenkundler arbeiten bereits mit der neuen Technik. Auch bei den zwei schwersten Naturkatastrophen des vergangenen Jahres erwies sich Google Earth als nützlich: bei der Flutkatastrophe von New Orleans und nach dem Erdbeben in Pakistan. Nach dem Hurrikan "Katrina" stellten amerikanische Meteorologen Satellitenbilder der überfluteten Region auf Google Earth bereit. Geflüchtete Anwohner konnten sich ansehen, ob ihr Haus unter Wasser stand, wie Helfer nach befahrbaren Wegen suchten, ob eine Rückkehr möglich war.

Bebenstudien

Nach dem Beben in Pakistan im vergangenen Oktober nutzten Rettungsdienste der Vereinten Nationen die auf Google Earth bereitgestellten Bilder der verwüsteten Bergregion für ihre Planungen. Neuerdings lassen sich auch die Folgen von Erdbeben auf Google Earth unmittelbar nach ihrem Eintreten ansehen. Der Geologische Dienst der USA stellt die Daten über Stärke und Ort des Bebens zur Verfügung. Den Bewohnern des "Erdbebenstaats" Kalifornien erlaubt die digitale Weltkugel sogar, ihr persönliches Risiko zu ermitteln. Die neue Weltkarte verrät, wie nahe ihr Haus an Erdbebenspalten liegt. Sogar den technisch anspruchsvollen Forschern der US-Weltraumbehörde Nasa bot Google Earth einen Blick in die Zukunft. Sie untersuchten die Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs und ließen dafür die Weltmeere auf den Google-Karten anschwellen. Das Horrorszenario zeigt, wie große Teile der Niederlande und Schleswig-Holsteins überflutet sind.

Eisbergforschung

Auch Polarforscher des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven nutzen die digitale Erde für die Meeresforschung. Sie beginnen derzeit damit, die Routen der Eisberge in der Antarktis zu verfolgen, deren Drift sich bislang kaum vorhersagen lässt. Die AWI-Forscher bestücken Eisberge mit Sonden. Durch Google Earth sollen die Wege der weißen Riesen künftig am Computer studiert werden können. So könnten sich beispielsweise bald schon riskante Seewege kartieren lassen. Das Treibeis der Arktis haben dänische Forscher der Universität Lyngby im Blick. Mit Hilfe von Satellitendaten machen sie Dicke und Drift des arktischen Eises auf den Weltkarten der Google-Erde sichtbar. Außerdem verfolgen sie am Bildschirm die Lebenswege vieler Walrosse der Arktis. Sonden, die den Tieren eingesetzt wurden, übertragen ihre Position. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9./10. 9. 2006)