Mit den Schwerpunkten für die Jahrgänge seiner Ruhrtriennale geht Intendant Jürgen Flimm chronologisch rückwärts. War er 2005 noch dem Zusammenhang von Industrialisierung und deutscher Romantik auf der Spur, so liefert diesmal "Der Mensch des Barock" das Thema. Wegen der allgemeinen geistigen Befindlichkeit der heutigen Gesellschaft, so Flimm.

Das Theaterdebüt von Spiegel-Kritiker Klaus Umbach mit Wahnfried - ein deutsches Stammlokal in der Bochumer Jahrhunderthalle hatte damit allerdings nur wenig zu tun. Es war ohnehin nicht mehr als ein Rundumschlag gesammelter Pointen, der auf die längst enthüllten Enthüllungen zielte und mit den gängigsten Klischees kalauerte.

Bei einem Geistertreffen auf dem Golfplatz Grüner Hügel ist alles mehr Wahn als fried! Mit Richard Wagners Frauen Cosima, Minna und Mathilde Wesendonck, Schwiegertochter Winifred, mit Enkel Wieland und Schwiegervater Franz Liszt. Natürlich mit Freundfeind Nietzsche und dem makabersten (oder "totalsten") aller Wagnerianer, Adolf Hitler. Retten konnte dieses Unternehmen freilich auch der Bayreuth-erfahrene Bariton Alan Titus mit seinem amüsanten Häppchen-Ring in ein paar Minuten nicht.

Mit dem faszinierenden Spiel um Peter Paul Rubens in der Kraftzentrale des Industrieparks in Duisburg ist Flimm nun doch ganz bei seinem thematischen Schwerpunkt angekommen. Als Auftragswerk hat der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy eine Art Versuch über den barocken Malerstar verfasst, den Philipp Stölzl und sein Dramaturg Jan Dvorák als eine Reise durch dessen Leben und durch die Welt seiner Bilder imaginieren. Mit der sprichwörtlichen Fleischlichkeit von deren weltlichem und mythischem Personal ist der in Siegen geborene Flame ja der Barockmaler schlechthin.

Das Spiel beginnt mit einem Streit über eine Kollektion berühmter letzter Worte zwischen dem als Toten aufgebahrten Maler mit seinem Sohn Albert (Torsten Ranft). "Mehr Gicht", kommt dem von dieser Krankheit Geplagten über die im Vorgriff auf Goethe zitierenden Lippen.

Mit solcher Art ironisch heiterem Ernst geht es weiter, wenn dann die Bilder im Wortsinne laufen lernen. Fünfzehn seiner Gemälde sind als Tableaux vivants nachgestellt: mit dem drallen Bacchus, dem sterbenden Seneca, dem urteilenden Paris oder dem vom Kreuz gleitenden Jesus. Aber auch als Familienbild oder als Selbstporträt. Bis hin zu jenem Pelzchen, das nur knapp üppige Weiblichkeit verhüllt ...

Eine Petersburger Hängung der besonderen Art - jedes der goldgerahmten Bilder mit rotem Samtvorhang wird hier zu einer Bühne, zu einem kleinen Stück Leben für sich. Als Momentaufnahme, die jetzt endlich auch einmal weiterläuft. Mit Figuren, die mit ihrem Schöpfer diskutieren, ihn auch einmal necken, verspotten oder plagen. Manche sogar anrührend singend, wie Philip Langridge als Seneca oder Angelica Böttcher als Helene Rubens. Reinhard Goebel hat für seine Musica Antiqua Köln dazu stimmungsvoll Zeitgenössisches kombiniert.

Schule des Sehens

Eine Lektion dieser opulenten Schule des Sehens ist dann im zweiten Teil der Diskurs, den Rubens mit dem auch in Siegen geborenen Mathematiker Kurt Gödel (1906-1978) über die euklidische Geometrie und die Abbildbarkeit der Welt führt. Hans-Michael Rehberg behauptet dabei mit der gelassenen Unvollkommenheit eines lebendigen, sinnlich zupackenden Menschen den die Welt in seinen Bildern erschaffenden "Arschmaler" gegen die strenge Logik des Analytikers (Christoph Bantzer). Am Ende triumphiert die Sinnlichkeit der Bilder.

Und was Umbach im Untertitel seines Stückes behauptet, aber verfehlt hat, das ist Stölzl auf originelle Weise gelungen: ein kleines Gesamtkunstwerk! Flimm hat sich den als Videoclip-Filmer etablierten Stölzl, der vor zwei Jahren mit einem Freischütz in Meinigen spektakulär in der Oper debütierte, längst für seine erste Salzburger Spielzeit gesichert. Dazu kann man den alten Theaterfuchs nur beglückwünschen. (Joachim Lange aus Duisburg, DER STANDARD, Printausgabe vom 11.9.2006)