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Philip Roth, Jedermann. Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. € 18,40/176 Seiten. Hanser, München 2006.

Foto: AP /Douglas Healey
Irgendwo stand in den vergangenen Tagen zu lesen, für sein neuestes Buch habe Philip Roth, der immer wieder und immer inständiger als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt wird, verdient, dass man ihm eben diesen Nobelpreis gleich mehrere Jahre hintereinander verleihe.

Das amüsiert. Eher beklemmend war im Vorfeld des Erscheinens von Jedermann (Everyman) hingegen die Meldung, der Schriftsteller habe sich auf dem Cover der amerikanischen Ausgabe bewusst abbilden lassen, um dem Gerücht vorzubeugen, sein kleiner Roman sei eine autobiografisch inspirierte Aufarbeitung von Hinfälligkeit, Krankheit und Tod.

Vielschreiberei

Roth, der in seiner bisherigen Laufbahn brisante Themen wie Judentum, Sexualität, Rassismus, antikommunistische Umtriebe, gesellschaftliche Gewaltpotenziale aufgegriffen und mit geradezu balzac'schem Mut zur Vielschreiberei virtuos weitergeschrieben und variiert hat - ganz offensichtlich berührt er in dieser seiner Chronik eines wenn schon nicht angekündigten, so doch absehbaren Todes ein besonders heikles Terrain.

In den USA, wo ein durchaus desolates Sozialwesen den Blick auf Notstände bei der Alten- und Krankenpflege besonders prekär erscheinen lässt, hat Jedermann durchaus tagespolitische Relevanz. Und in Europa freut man sich gerne über "alte Meister" mit Blick auf bis dato säumige Juroren in Stockholm.

Sarkasmus

Anders ist die eher überproportionierte Flut der Reaktionen auf dieses Buch schwer erklärbar. Auf ein Büchlein, das im Sog des mittlerweile gewaltigen Oeuvres von Roth eher wie eine kurze Atempause wirkt, so wie früher schon Die Prager Orgie oder Die Brust oder Das sterbende Tier: Ein Innehalten, in dem der Schriftsteller stilistische Optionen sondiert, gleichzeitig aus dem zuletzt Verfassten quasi herausdestilliert, was - vorläufig - bleibt. In diesem Fall ist es geradezu roth'scher Sarkasmus, wenn man sagt: Was bleibt, ist die Vergänglichkeit.

"Das Fleisch schmilzt, die Knochen bleiben"

"Das Fleisch schmilzt, die Knochen bleiben": Diesem Verdikt entsprechend wirkt Jedermann wie das Skelett eines Romans. Inhaltlich und formal. Auf der inhaltlichen Ebene reduziert Roth den Lebenslauf seines Helden auf eine Abfolge jener Begegnungen mit Krankheit und Tod in Spitalsaufenthalten, Kranken- und Friedhofsbesuchen, die schon in früheren Romanen Roths die Protagonisten irritiert haben mögen, hier jedoch, holzschnittartig skizziert auf 172 Seiten kaum Seitenblicke zulassen auf jene erotischen Kollisionen und Generationenprobleme und sonstigen neurotischen Konstanten, die eben auch das Leben eines "Jedermann" ausmachen.

Hier eine Leistenbruchoperation in jungen Jahren, dort ein Blinddarmdurchbruch, der sterbende Vater, eine Krebserkrankung. Frauen, die sich bestenfalls darüber definieren, ob sie einen auf Dauer besser oder schlechter zu Hause pflegen könnten: Es ist, als würde man den Hamlet auf die Begegnung mit dem Geist des Vaters und auf die Totengräber-Szene reduzieren. Phasenweise ziemlich bitter, bestenfalls im Tonfall milder Resignation fixiert Roth Abschiede, Krankheiten, Todesfälle - und Bilder eines Körpers, der immer mühsamer und aufwändiger davon abgehalten werden muss, dass er seinen Dienst versagt.

Erzählposition

Interessant ist auch in diesem Zusammenhang einmal mehr die Erzählposition. Bei Philip Roth war es ja noch nie wirklich klar, oder richtiger: immer schon spielte er gern mit der Frage, ob er sich jetzt in eine Figur hinein versetzt oder ob nicht vielmehr ganz im Gegenteil diese Figur durch ihn hindurch seine Geschichte(n) erzählt. Im Fall des Jedermann entsteht denn auch eine irritierende Kluft zwischen verbrieften Fakten, Erfahrungen, die eigentlich nur ein Ich-Erzähler (und sei es aus dem Jenseits, wenn er sein eigenes Begräbnis verfolgt) wiedergeben könnte und einem durchaus betörenden Widerspruch: Ebenjener Jedermann, dessen Leben zum Tode hin Roth erzählt, geht am Ende "alles andere als besiegt (. . .) ins Nichts, ohne es auch nur zu merken".

Gleichzeitig die Frage: Was weiß der Autor darüber als Lebender? Ist dies, wie manche Rezensenten meinten, "falscher Trost". Oder ist es eine böse Ironie, die vor dem "Hokuspokus obsoleter Himmelsvorstellungen" nur scheinbar klein beigibt?

Schwindler

Wie viele andere Roth-Helden ist auch dieser Jedermann - ein gescheiterter Kunststudent, Werbetexter, Hobbymaler - ein großer Selbstbetrüger. Und in ihm manifestiert der Dichter, dass er selbst vermutlich der allergrößte Schwindler und Selbstbetrüger ist. Selbst wenn er uns und sich mit diesem Buch kaum noch etwas vormachen will. Am ehesten liest sich Jedermann in enger Nachbarschaft zu Das sterbende Tier, wo ein Mann als Überlebender auf Siechtum und Tod einer ehemaligen Geliebten und damit auf eigene Schuld starrt. Jetzt geht es noch direkter darum, wie sich einer quasi fortwährend an sich selbst versündigt.

Insofern: Ein kleines Buch, als dessen Hauptleistung aber einmal mehr gelten mag, dass es abfärbt auf ein Gesamtwerk, in dem bei Philip Roth die Ränder zwischen den einzelnen Bänden kaum noch auszumachen sind. (Claus Philipp/DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.8.2006)