Helmut Krausser: "Eros", Roman, € 20,50, 318 Seiten, DuMont, Köln 2006

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"Ein Roman über die Illusion der reinen Selbstbestimmung der Existenz": Helmut Krausser über "Eros".

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Wien – Dass sich bislang kein größeres Feuilleton dieses Romans angenommen hat, erstaunt dann doch. Helmut Krausser, Jahrgang 1964 und schon lange ein heißer, umstrittener Anwärter auf den deutschen Literaturthron, hält mit seinem jüngsten Roman Eros nicht nur ein Buch über eine große, unerfüllte Liebe parat. Er lässt diese Geschichte obendrein vor einer deutschen Kulisse stattfinden, die von der Nazizeit bis zum Mauerfall einen Gutteil des 20. Jahrhunderts abdeckt.

Der schwer kranke Fabrikant Alexander von Brücken bittet einen Autor (Krausser?) auf sein Schloss, um ihm von seiner lebenslangen Obsession für Sofie zu erzählen. Der Ghostwriter möge einen Roman daraus stricken, der nach von Brückens Tod erscheinen soll. Irgendwas muss jedoch schief gegangen sein, denn der Leser hält genau jene O-Ton-Fassung in Händen, wie sie der Autor erzählt bekam. Die Aufklärung liefert erst die alles durcheinanderwirbelnde Schlusspointe.

STANDARD: Sie haben bereits einen Roman über den Todestrieb Thanatos geschrieben, nun einen über den Liebestrieb Eros. Was reizte Sie als Autor an diesen Begriffen?

Krausser: Die von Anfang an großspurig geplante Tetralogie sollte vier der wichtigsten Begriffe der menschlichen Existenz behandeln: Liebe, Tod, Mythos – also die Verformung des Gewesenen, realisiert in den Melodien – und die Zeitlichkeit in all ihren Facetten – Ultrachronos. Den Eros habe ich mir für den Schluss aufgehoben, um ein gewisses Alter erreicht zu haben und somit das Recht, darüber zu schreiben. Die reine Story hat mit diesem Vorhaben nichts zu tun, die entstand aus einer privaten Obsession. Mit 16 liebte ich ein Mädchen – erfolglos –, das ich noch mit 34 rumzubekommen versuchte – erfolglos. Irgendwann verflüchtigte sich die Obsession, danach konnte ich sie endlich zum Thema machen.

STANDARD: An einer Stelle des Romans heißt es: „Was geschrieben steht, ist auf gewisse Art geschehen...“ Das scheint auch für den Reiz des Buches zu gelten: Es könnte sich dabei um eine wahre Geschichte handeln.

Krausser: Ja, es ist als ein großes Märchen konzipiert, aber so, dass es gerade eben doch stattgefunden haben könnte.

STANDARD: Das Buch, das Alexander von Brücken gern von seinem Ghostwriter hätte, bekommt er in der Form nicht. „Eros“ erscheint in einer vermeintlich unfertigen Fassung. Ohne zu viel über den Schluss zu verraten: Warum?

Krausser: „Vermeintlich unfertig“ ist das richtige Stichwort. Man kann ein Leben nicht eins zu eins in einen Roman übertragen, ohne es zu fälschen. Der Ghostwriter begreift das und belässt den O-Ton von Brückens scheinbar roh, um der Wahrheit so nahe wie möglich zu bleiben. Wobei dieser O-Ton natürlich alles andere ist als roh. Nichts ist schwieriger, als die Illusion eines glaubhaften O-Tons zu gestalten.

STANDARD: Bestand darin, die Form zu finden, die große Schwierigkeit? Sie schreiben ja, der Roman ging von 1997 bis 2005 durch 17 Fassungen.

Krausser: Genau. Der Text musste schillern. Wenn ich, wie ursprünglich geplant, keinen Ghostwriter dazwischengeschaltet hätte, wären für den Leser nur zwei Möglichkeiten geblieben – dem erzählenden von Brücken zu glauben oder nicht. Indem man erfährt, dass man diesen Erzählungen nur bedingt trauen kann, bewahrt sich der Text jenes Geheimnis, über das auch jede Biografie verfügt. Was ist Stilisierung, was nicht? Kein nacherzähltes Leben ist unstilisiert denkbar.

STANDARD: Das Geschehen reicht von der Nazizeit über die „Bewegung 2. Juni“ bis in die DDR und zum Fall der Mauer. Warum diese Koppelung Eros/Deutschland?

Krausser: Klar habe ich die Hotspots der jüngeren deutschen Geschichte als dramaturgische Möglichkeiten verwendet, alles andere wäre uninteressant gewesen. Es ist, wenn man so will, ja ei-ne Art Don-Camillo/Peppone-Konstruktion – hier der reiche unpolitische Kapitalist, hier die engagierte sinnsuchende Moralistin auf terroristischen Abwegen. Wie könnte ich da auf die grundlegenden Weichen der Zeitgeschichte verzichten?

STANDARD: Mit Eros scheinen Sie stilistisch bis zu einem gewissen Grad Neuland zu betreten. Bislang galten Sie als Kraftmeier, hier agieren Sie zurückhaltender.

Krausser: Es kommt kein derber oder perverser Sex vor und kein Splatter. Es ist in der Hauptsache ein Roman über die Illusion der reinen Selbstbestimmung der Existenz. Sofie glaubt keinen Moment ihres Lebens daran, nicht autark zu handeln. Das Thema Eros als leiblich-hormonelle Komponente, als Testosteron-Begierde, habe ich schon ausreichend abgehandelt. Ums Ficken geht es hier nicht, eher um die Obsession als selbst erwähltes Lebensziel – und die Kollateralschäden, die draus erwachsen. (Sebastian Fasthuber/DER STANDARD, Printausgabe, 15.9.2006)