STANDARD: Die internationale Gemeinschaft fordert vehement die Entwaffnung der Hisbollah. Ihr Bruder war der Ansicht, dass die Hisbollah eine wichtige Rolle bei der Verteidigung des Libanon spiele. Wie sehen Sie das, soll die Hisbollah entwaffnet werden?
Hariri: In der Resolution 1701, mit der der Libanon-Krieg beendet wurde, wird die Entwaffnung der Hisbollah ja nicht direkt gefordert. Die Resolution besagt nur, dass südlich des Litani-Flusses niemand außer der libanesischen Armee Waffen tragen soll. Die Entwaffnung der Hisbollah kann aber nur durch einen Dialog außerhalb des Rahmens der UN-Resolution 1701 erreicht werden.
Welche Rolle die Hisbollah künftig spielen soll, muss innerhalb unserer eigenen Institutionen - also im Parlament - geklärt werden. Zunächst muss aber unser Land befreit werden. Ich spreche da etwa die von Israel besetzten Shebaa-Farmen an. Ohne die Befreiung können wir keine anderen Probleme diskutieren.
STANDARD: Aber wie weit kann ein Land funktionieren, in dem eine derart starke Privatmiliz neben der staatlichen Autorität existiert?
Hariri: Die Hisbollah ist keine Miliz. Sie ist Partei des 1989 geschlossenen Abkommens von Taif, mit dem der libanesische Bürgerkrieg beendet wurde. Die wichtige Frage ist, ob wir das Land ohne Beteiligung der Hisbollah, die ja die Schiiten vertritt, wieder aufbauen können.
Die Schiiten haben während des Krieges gegen Israel am meisten gelitten. Wir müssen uns um diese Gruppe nun kümmern und dürfen sie nicht ausgrenzen und damit zu einer Aufspaltung des Landes beitragen.
STANDARD: Bei einer internationalen Geberkonferenz in Stockholm wurden dem Libanon Aufbauhilfen von über 700 Millionen Euro zugesichert. Sind Sie damit zufrieden?
Hariri: Die internationale Gemeinschaft hat schon während des Krieges massiv darauf gedrängt, einen Waffenstillstand zu erreichen. Und ich hoffe nun, dass die Staatengemeinschaft uns auch beim Wiederaufbau unterstützten wird. Die Schäden durch den Krieg belaufen sich auf über 15 Milliarden Dollar.
Saudi-Arabien, Kuwait und andere Golf-Staaten können dem Libanon wirklich helfen. Der Krieg hat unsere gesamte Infrastruktur zerstört. Aber es gibt eine große Solidarität mit dem Libanon. Sowohl im In- als auch im Ausland. Das größte Problem derzeit sind die Landminen. Da brauchen wir dringend Unterstützung.
STANDARD: Wie beurteilen Sie die Arbeit der UN-Sonderkommission zur Aufklärung des Mordes an Ihrem Bruder?
Hariri: Wir vertrauen den Institutionen der UNO vollkommen.
STANDARD: Laut UN-Kommission dürfte das Attentat ohne die Zustimmung ranghoher syrischer Sicherheitskräfte nicht möglich gewesen sein. Wird einer dieser mutmaßlichen syrischen Drahtzieher jemals vor Gericht stehen?
Hariri: Ich erhebe keine voreiligen Anschuldigungen. Das Einzige, was ich sagen will, ist, dass die Aufklärung des Mordes an Rafik der einzige Weg ist, um die Einheit des Libanon aufrechtzuerhalten. (DER STANDARD, Printausgabe, 16. September 2006)