Grafik: Standard/Quelle: Wiener Klinische Wochenschrift
Wissenschafter verlangen politisches Handeln: Restriktive Gesetze lassen Mord und Selbstmord gleichermaßen seltener werden.

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Wien - Knapp vor der Nationalratswahl publizierte die Wiener Klinische Wochenschrift eine politisch brisante Studie: Erstmals in Österreich wurde der Zusammenhang zwischen der Zahl an Waffenpässen und den Suizidraten erforscht. Das eindeutige Ergebnis: Je mehr Lizenzen ein Bundesland ausstellt, desto mehr Menschen nehmen sich dort mit Schusswaffen das Leben.

Damit aber nicht genug: Restriktive Änderung des Waffengesetzes reduziert nicht nur die Zahl der mit Schusswaffen verübten Suizide, sondern die Zahl aller Selbsttötungen. Ein Ergebnis, das im Widerspruch zu den bisher von Waffen-Lobbyisten vorgebrachten Argumenten steht.

Steiermark führend

Suizidforscher Elmar Etzersdorfer von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Stuttgart hat mit seinen Kollegen Nestor Kapusta und Gernot Sonneck vom Institut für Medizinische Psychologie der Wiener Uni-Klinik die Daten aus der Zeit zwischen 1990 und 2000 analysiert: Die Zahl aller Suizide bundesweit lag im Durchschnitt jedes Jahr bei 21,3 pro 100.000 Einwohner (rund 1600 Suizide). Mit 25,3 pro 100.000 Einwohner brachten sich in der Steiermark generell am meisten Menschen um. Die Zahl der mit Schusswaffen durchgeführten Selbsttötungen lag im Bundesschnitt bei 3,9 pro 100.000 Einwohner (insgesamt etwa 290 oder 18,1 Prozent aller Suizide). Die Zahl der ausgestellten Waffenpässe lag bei 1339 pro 100.000 Einwohner (insgesamt rund 101.000 Lizenzen).

Waffengebrauch steigt

Fest steht, dass die Zahl der mit Waffen verübten Selbsttötungen stark zunimmt. Heute werden bereits 23,5 Prozent aller Suizide (mehr als 380 pro Jahr) mit Waffen begangen. 1960 waren es 6,9 Prozent.

Mit 16,9 pro 100.000 Einwohner wurden die wenigsten Suizide in Vorarlberg begangen. Das westlichste Bundesland ist auch jenes, das mit 780 pro 100.000 Einwohner die wenigsten Waffenpässe ausgestellt hatte. Dementsprechend, so das Ergebnis der Studie, war auch die Zahl der dort mit Schusswaffen verübten Suizide am geringsten: jährlich nur zwei von 100.000 Einwohnern.

Das Land mit den meisten Waffenlizenzen war das Burgenland mit 2028 pro 100.000 Einwohner. Dort war auch der Anteil der mit Waffen verübten Suizide am höchsten: 25,9 Prozent aller Selbsttötungen fanden im Burgenland durch Erschießen statt.

Die Schlussfolgerung der Studienautoren ist klar: Da "Erschießen als Suizidmethode in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen" sei und nun erstmals ein direkter Zusammenhang zwischen dieser Suizidmethode und der Anzahl an ausgestellten Waffenpässe nachgewiesen worden sei, müsse die Politik handeln: "Einschränkung von Waffenbesitz ist ein wichtiger Aspekt der Suizidprävention."

Irrglaube

Der kanadische Suizidforscher Antoon Leenaars betonte in einem ergänzenden Editorial in den Klinischen Wochenschriften, dass sich die österreichischen Daten mit Studienresultaten aus anderen Ländern deckten. Das Argument der Waffen-Lobbyisten, durch restriktivere Waffengesetze würde die Suizidzahl nicht gesenkt, da sich Menschen dann eben anders umbrächten, stimme nicht: In Ländern, in denen der Zugang zu Waffen eingeschränkt wurde, konnte keine Methodenverschiebung festgestellt werden. In Summe senkten restriktive Waffengesetze nicht nur die Zahl der mit Schusswaffen verübten Suizide, sondern aller Suizide. Und darüber hinaus die Zahl der Morde und tödlichen Waffenunfälle. (Andreas Feiertag/ DER STANDARD-Printausgabe, 16./17.9.2006)