Für eine künftig bedarfsgerechte Ausbildung legen zwei Forscherinnen der Universität Wien seit Anfang August die Basis. Verena Krausneker und Katharina Schalber, tätig am Innovationszentrum der Universität Wien, erheben erstmals österreichweit den Status quo der Gebärdensprache im Schulwesen für Gehörlose und an der Uni Wien, der größten Hochschule des Landes. "Um an einer der sechs Gehörlosenschulen in Österreich zu unterrichten, muss man die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) nicht beherrschen", bringt Verena Krausneker die Ausgangssituation auf den Punkt. "Im Lehrplan ist ÖGS als Fach oder Unterrichtssprache nicht verankert. 'Gebärdenpflege' ist eine unverbindliche Übung wie Schach", so Katharina Schalber.
Im Widerspruch zu Erkenntnissen aus rund vierzig Jahren - vor allem US-amerikanischer - Spracherwerbsforschung bei gehörlosen und hörenden Kindern, werden Erstere in Österreich zwar in eigenen Schulen unterrichtet, allerdings in Lautsprache. Dabei steht für die Forscher-Community fest, dass man zunächst eine Erstsprache erwerben muss, um eine weitere Sprache zu erlernen. "Spracherwerb passiert ungesteuert, also durch Mithören oder - im Fall einer Gebärdensprache - durch Mitschauen, durch Nachahmung", erklärt Verena Krausneker, die selbst Vokabel büffeln musste, um ÖGS zu erlernen.
Daraus folgt, dass wer Deutsch nicht hören kann, nie wirklich verstehen wird, was Sprache ist: die Möglichkeit, mit einer begrenzten Anzahl von Elementen, nach bestimmten Regeln, eine unbegrenzte Anzahl von Aussagen zu machen, wie der Forscher Noam Chomsky sie definiert hat. "Bilingualer Unterricht mit Deutsch und ÖGS kann bei gehörlosen Schüler, die - in allen Lebensbereichen unverzichtbare - Deutschkompetenz verbessern helfen", skizziert Schalber die weitere wünschenswerte Entwicklung.
Steigende Nachfrage
Am Sprachenzentrum der Universität bemerken die beiden Forscherinnen schon heute eine steigende ÖGS-Nachfrage. "Viele Pädagogen an Gehörlosenschulen wollen sich einfach mit den Kindern verständigen können", weiß Verena Krausneker, "und eignen sich die notwendigen Sprachkompetenzen selbstständig, in ihrer Freizeit, an."
Das Projekt "Österreichische Gebärdensprache in Schule und Forschung - Situation gehörloser SchülerInnen, Studierenden und Lehrerausbildung in Österreich" läuft ein Jahr und wird zu je fünfzig Prozent von der Universität Wien und dem Bildungsministerium finanziert. Bis August 2007 werden die Sprachwissenschafterinnen, die beide in den USA ihr Studium vertieft haben, zwei Innovationspakete mit Empfehlungen für das Gehörlosen-Schulwesen samt Lehrerausbildung sowie die universitäre Forschung und Lehre schnüren. Modul eins, in dem Status, Ausmaß und Qualität von ÖGS im Unterricht mit Befragungen, teilnehmender Beobachtung und der Analyse schriftlicher Quellen untersucht werden, läuft bereits.