Die Humanökologin Ulrike Bechtold.
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Am Anfang standen Juanita und Ötzi. Nicht in der Menschheitsgeschichte, aber in den Forschungsbeziehungen des Instituts für Anthropologie der Uni Wien und Fachleuten in Peru, die mit dem Austausch über die beiden Gletschermumien begannen. Die 1996 entdeckte Nekropole der Chachapoya-Kultur im Nordosten Perus stieß weitere Projekte an, die von Österreich finanziert aber auch wissenschaftlich begleitet wurden.

Die Humanökologin Ulrike Bechtold begleitet seit Mitte 2004 den gesellschaftlichen Wandel im nahe der Fundstätte gelegenen Ort Leymebamba, der durch die Mumien ausgelöst wurde. Er manifestiert sich in einem lokalen Chachapoya-Museum, einem Kulturzentrum, der Aussicht auf Touristen und Internetanschluss. Die Humanökologie erforscht, wie Menschen und Gesellschaften mit Natur und Umwelt interagieren.

Das bringt mit sich "dass man immer ein bisschen zwischen den Stühlen sitzt, weil man sich nicht in einer Disziplin profilieren kann", beschreibt Bechtold, Jahrgang 1975, das Dilemma. Für sie ist das abwechslungsreiche Forschungsfeld ideal, "weil sich das Staunen über das menschliche Gefüge nicht verliert oder abnützt".

Hoffnungen und Ängste

In ihrem vom Wissenschaftsministerium geförderten Forschungsprojekt, geleitet von Horst Seidler, legte sie ihr Ohr ganz nahe an den Ort Leymebamba und seine 1500 BewohnerInnen, um deren Hoffnungen und Ängste einzufangen. In ihren Transition Studies will sie Wandlungsprozesse verstehen, relevante Akteure und Akteurinnen identifizieren, deren Perspektiven, Interessen und Handlungsmöglichkeiten erkennen und sie einbinden mit dem Ziel, tragfähige Lösungen zu finden. Die Mediationsausbildung war hier von Vorteil, um alle Stimmen zu hören, ohne den Betroffenen die Entscheidungen abzunehmen.

"Wir haben das soziale Gefüge analysiert und dargestellt", sagt Ulrike Bechtold und fährt mit dem Zeigefinger über ein Diagramm, das auch die Beteiligten als Feedback auf den Prozess ausgehändigt bekamen. Pfeile in grün und rot, die für positive und negative Beziehungen stehen, führen zu Prozessen und Akteuren, überdacht von den drei wichtigen Entwicklungsperspektiven: Tourismus, Landwirtschaft, Infrastruktur. Wünschenswert wäre zu wissen, ob die erarbeiteten Szenarien auch umgesetzt werden. Den Antrag auf Förderung für ein Anschlussprojekt plant Bechtold noch für dieses Jahr.

Nach dem Anthropologiestudium führte sie die Ausbildung zur Humanökologin für ein Jahr an die Freie Uni Brüssel. Erste Praxis im Feld sammelte sie in Quetzaltenango, Guatemala, wo für die Entwicklungszusammenarbeit eine Wasserversorgung aufgebaut wurde. Bechtold stuckte Spanisch und führte wenige Wochen später 250 Straßeninterviews mit den StadtbewohnerInnen. Ziel war es Abweichungen vom Idealbild des Masterplans aufzuzeigen. "Ich ging eigentlich nie ohne Fragebögen aus dem Haus", denn für ein repräsentatives Ergebnis hantelt man sich "24 Stunden" von Knotenpunkt zu Knotenpunkt im gesellschaftlichen Netz.

Seit Anfang des Jahres ist die agile Anthropologin auch Gesellschafterin im universitären Spin-Off bios4. In der Firma bieten fünf ForscherInnen gemeinsam Prozesserfahrung und Produkte an, die sich durch Forschungsprojekte nicht verwirklichen lassen. Etwa ein patentiertes Bewässerungssystem, das demnächst in Portugal mit verschiedenen Usern vom Golfplatz bis zum Acker getestet wird.

Die gebürtige Bregenzerin lebt in einer Lebensgemeinschaft inklusive Hund, der auch ihre Lieblingsfreizeitbeschäftigung mit ihr teilt: den Wechsel der Jahreszeiten beim Spazieren mit allen Sinnen wahrzunehmen. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe, 20. September 2006)