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Bildungsminister Alan Johnson (li.) gilt als möglicher Gegenkandidat der Blairisten gegen Gordon Brown.

Fotos: Reuters/Getty Images

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Symbolträchtig: Tony Blair mit Schutzkleidung bei einem Spitalsbesuch.

Foto: AP/Byrne
Jetzt ist schon so weit, dass sie jede Falte in Tony Blairs Gesicht zu deuten versuchen. Neulich, auf einer Gewerkschaftstagung, hat man ein großes W auf seiner Stirn geortet, einen rötlichen Zacken von Harry-Potter-Qualität, tief eingekerbt zwischen Nasenwurzel und Haaransatz.

Prompt begannen Englands Edelfedern zu rätseln, wofür wohl der Buchstabe stehe. Für das W in George W. Bush? Für „When“, was heißen soll: Wann tritt Blair zurück? Für „Worried“, also dafür, dass der Premier voller Sorge ist, weil er fürchten muss, dass seine Partei ihn schon jetzt aus dem Amt putscht? Am Sonntag trifft sich die Labour Party zu ihrem Jahreskongress in Manchester, der alten Industriestadt mit den längst nicht mehr rauchenden Schloten. Business as usual, hätte man noch vor ein paar Monaten gesagt. Denn seit 1994, seit sich Blairs runderneuerte Partei das Etikett New Labour aufklebte, hat sie viel Übung darin, ihre Konferenzen als perfekte Medienspektakel zu inszenieren. Das könnte diesmal anders werden. Eines steht bereits fest: Es ist der letzte Labour-Kongress, den Blair als Parteivorsitzender und Premierminister erlebt. Spätestens bis nächsten September will er seinen Hut nehmen. Als er die Frist vor zwei Wochen verkündete, mit zerknirschter Miene auf einem Londoner Schulhof stehend, konnte jeder sehen, dass er es nicht freiwillig tat. Blair sprang, ehe er gestoßen wurde von Gordon Brown, seinem Widersacher, der seit neun Jahren Schatzkanzler ist und endlich Regierungs_chef werden möchte.

Eigentlich ist seitdem alles klar, eigentlich könnte es ein halbwegs harmonischer Parteitag werden, der große Abschied vom Steuermann. Doch die Fronten zwischen „Blairites“ und „Brownites“ sind so verhärtet, dass manche öffentlich Gift und Galle spucken, statt die Risse zuzukleistern. Unkollegial, launisch, labil, kein Mut, dafür jede Menge Misstrauen – das waren die Attribute, die Charles Clarke dem Kronprinzen Brown zuschrieb. Clarke ist nicht irgendein Hinterbänkler, sondern einer, der gern selbst vorn steht. Bis zum Mai war er Innenminister, und noch immer hat sein Wort Gewicht. Es gibt Beobachter, die den Hundert-Kilo-Mann als Anführer einer Rebellion sehen. Einer Revolte, die der Devise folgt: „Anyone but Gordon“ („Jeder, nur nicht Gordon“). Ginge es nach dem Willen der Aufständischen, endete der Schatzkanzler wie der tragische Held eines Shakespeare-Dramas: der Macht ganz nah – und doch nie auf dem Thron.

Die Frage ist, ob die hart gesottenen Blairisten, die Brown um jeden Preis verhindern wollen, schon in Manchester zum Sturm rufen. Kandidaten, die gegen den Schotten antreten könnten, gibt es durchaus. Alan Johnson etwa, ein Name, der immer wieder gehandelt wird. Der frühere Briefträger, 56 Jahre alt, ist Bildungsminister. Er hat Charisma und hält loyal zu Blair, dem man allmählich nachsagt, dass er Brown nur widerstrebend den Stab übergäbe.

Um eines geht es bei der Vendetta am wenigsten: um politische Substanz. Nur ein paar Urgesteine Old Labours verlangen noch, der „neuen Mitte“ Adieu zu sagen und zurückzukehren zu alten Werten. Mit Old Labour habe Brown nichts am Hut, sagt Robert Peston, sein Biograf. Vielmehr wolle er die Eigeninitiative stärken, die Leute zum Sparen, zum Aktienbesitz animieren, ganz ähnlich wie Margaret Thatcher, die Eiserne Lady. Nur eben sozialer: „Man könnte es staatlich geförderten Thatcherismus nennen.“

An diesem Sonntag trifft sich die britische Labour Party zu ihrem Jahreskongress. Es könnte der große Abschied von Tony Blair werden – aber auch ein großes Hauen und Stechen zwischen Anhängern des Premiers und seines designierten Nachfolgers Gordon Brown.(Frank Herrmann aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.9.2006)