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Diese drei könnten die Ampel zum Leuchten bringen: SPD-Chef Kurt Beck, FDP-Chef Guido Westerwelle und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast.

Fotos: EPA, Reuters, dpa/Montage: Lux
Weil das Verhältnis zwischen Union und SPD so schlecht ist, wird in Deutschland über einen fliegenden Koalitionswechsel spekuliert. Von schwarz-rotem Regierungsfrust und rot-gelb-grünen Ampelträumen berichtet Birgit Baumann.

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Es liegt was in der Luft in Berlin. Doch es sind nicht nur die Duftschwaden von Grillfleisch, die vom Tiergarten aus an diesen Spätsommertagen durch das Regierungsviertel wabern. Wo immer sich der Politzirkus trifft - in Hinterzimmern, im Bundestag oder in Gastgärten - steckt man die Köpfe zusammen, um nur noch ein Thema zu besprechen: die große Krise der großen Koalition.

"Gemeinsam werden wir die großen Probleme anpacken", hieß es bei Merkels Amtsantritt im November 2005 noch euphorisch. Sozialdemokraten und Unionspolitiker kuschelten demonstrativ, um ganz Deutschland zu überzeugen: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.

Frust statt Friede

Doch der Friede ist dem Frust gewichen, die Harmonie der Hilflosigkeit. Bereits zehn Monate nach Amtsantritt steckt Angela Merkels schwarz-rote Regierung in einer Sackgasse names Gesundheitsreform, auch anderswo knirscht es gewaltig. (siehe unten). Immer deutlicher tritt zu Tage, was vielen von Anfang an klar war: Die große Koalition ist nur eine Notgemeinschaft, weder SPD noch Union wollten sie. Längst geht es nicht mehr um etwas Großes und Gemeinsames. Längst denkt jede Seite an die nächste Wahl und versucht sich so gut wie möglich darzustellen.

Natürlich geistert schon seit geraumer Zeit das Wort von der "Neuwahl" durch die deutsche Hauptstadt. Doch wirklich verfolgen will diese Idee niemand. Weder Union noch SPD könnten es zurzeit wagen, sich zur Wahl zu stellen. Beide großen Parteien liegen in den Umfragen schlecht wie nie zuvor. Gemeinsam haben sie nur noch 58 Prozent Zustimmung, Anfang des Jahres waren es noch 70 gewesen.

Fliegender Koalitionswechsel

Es gäbe also nur eine sichere Möglichkeit, um zu einer anderen Regierungskonstellation zu kommen: einen fliegenden Koalitionswechsel. Die SPD verstößt Kanzlerin Merkel, wendet sich von der Union ab, SPD-Chef Kurt Beck lässt sich von Freien Demokraten und Grünen zu ihrem Nachfolger wählen - und fertig ist die erste deutsche Ampel auf Bundesebene.

Das wird nicht gleich morgen passieren, auch nicht nächste Woche. Aber die Möglichkeit hat sich in den Köpfen potenzieller Protagonisten festgesetzt. Seit Wochen gibt es hinter den Kulissen vertrauliche Gespräche zwischen Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen. Für diese Woche hatten Abgeordnete der SPD und der FDP, der in Deutschland die Farbe gelb zugeschrieben wird, ein "Geheimtreffen" in größerer Runde anberaumt, von dem selbstverständlich ganz Berlin wusste.

Werben

Dieses ist jetzt aus Rücksicht auf die Union abgesagt worden, soll aber im Oktober nachgeholt werden. Mittlerweile umwirbt die FDP die SPD auch ganz offen und ungeniert. "Die große Koalition kann es nicht, wir brauchen eine andere Konstellation. Deshalb müssen wir jetzt ausloten, was geht", sagt FDP-Vize Rainer Brüderle im aktuellen Spiegel und stellt klar, dass die vor der Bundestagswahl 2005 getroffene Koalitionsaussage der FDP zugunsten der Union nicht mehr gilt.

Dass diese Konstellation gerade jetzt, da Kurt Beck SPD-Chef ist, diskutiert wird, ist kein Zufall: Beck regierte als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz jahrelang geräuschlos mit der FDP, bis er in diesem Frühjahr bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit einfuhr. Den Politologen Richard Stöss wundert die zarte Anbahnung nicht: "Außer einer großen Koalition sind im Bundestag nur Dreier-Konstellationen möglich."

Ungehalten über Flirt

Ziemlich ungehalten angesichts des Ampelflirts ist die Union. "Die SPD kann nicht auf offener Bühne der großen Koalition die Treue schwören und hinter den Kulissen ein anderes Stück spielen", klagt Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Was er verschweigt: Auch CDU-Abgeordnete bemühen sich um eine bessere Gesprächsbasis mit Grünen und FDP. Politisch ist sie zwar unrealistisch, aber ganz ausgeträumt ist der Traum von der Jamaika-Koalition doch nicht. (DER STANDARD, Printausgabe 25.9.2006)