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Noch die Nummer zwei hinter Tony Blair (links), aber auf dem Sprung an die Spitze der Labour-Partei: Gordon Brown auf dem Parteitag in Manchester.

(AP Photo/Kirsty Wigglesworth)
Man sieht ihm an, wie er sich anstrengt, gelungen zu lächeln. Nicht zu breit, zu triumphal, aber auch nicht zu dünn, zu gezwungen. Der Mann, der mit Schweißperlen auf der Stirn am Rednerpult steht, hat den heikelsten Balanceakt seiner Karriere zu bestehen. Einerseits muss er sich in Bescheidenheit üben, darf nicht so tun, als sei es nur noch reine Formsache, dass er dem scheidenden Tony Blair auf den Labour-Thron folgt. Andererseits will er seine zweifelnden Genossen davon überzeugen, dass sie keinen Verlierer wählen, wenn sie ihn zum Spitzenmann küren. Er will zeigen, dass es noch einen anderen Brown gibt als den, der sich Schatzkanzler Ihrer Majestät nennen darf.

Der Brown, den alle Welt kennt, ist gründlich, belesen, bienenfleißig. Doch mit Blick auf die Zukunft möchte der 55 Jahre alte Schotte beweisen, dass er mehr ist als ein verbissener, oft mürrischer Zahlenmensch. Löst er Blair ab, wird er bei der nächsten Wahl gegen den Überflieger der britischen Szene antreten, gegen David Cameron, den neuen Superstar der Konservativen. Cameron ist locker, witzig und telegen, fast ein Klon des jungen Blair, der in den Neunzigern den Londoner Olymp stürmte. Deshalb soll auch Brown locker, witzig und telegen wirken, jedenfalls ist es das, was ihm Scharen von Image-Experten ans Herz legen.

Polarkreis vor Pop

„Ich bin eine ruhige, private Person. Ginge es ums Image, wäre ich nicht in der Politik“, schlägt der Adressat den Rat aus. „Mich interessiert die Zukunft des Polarkreises (Arctic Circle) mehr als die Zukunft der Arctic Monkeys“, witzelt Brown ins Gelächter des Kongresses hinein. Damit hat er sein Credo umrissen. Der Polarkreis rangiert bei ihm vor dem Pop, Substanz vor dem Spaß. Ein Premierminister namens Gordon Brown, lautet die Botschaft, lässt sich nicht verbiegen.

An der Kompetenz des Labour-Kronprinzen hat ohnehin nie jemand gezweifelt. Deshalb raten ihm Freunde, er möge einfach auf den Zeitgeist pfeifen und sich so geben, wie er nun mal ist: kein Entertainer, dafür seriös bis ins Mark, eben der Richtige, um ein Land zu führen.

Auch unter seiner Führung werde die Labour Party ihren Reformkurs beibehalten, sich an der politischen Mitte orientieren und als „New Labour“ eine moderne Linke verkörpern, sagt Brown. „Ich bin überzeugt, dass meine Erfahrung und meine Werte mir die nötige Stärke geben, harte Entscheidungen zu treffen.“ Auch Blair klatscht dem Parteifreund zu.

Seit 1994, als Blair den Vorsitz der Labour Party übernahm und Brown fürs Erste verzichtete, hat sich der Grübler als Stratege der Neuen Mitte profiliert. Blair war fürs Vermarkten zuständig, Brown für den Inhalt. In Manchester macht er klar, dass er nicht die Absicht hat, über Nacht zum wuselnden Chefverkäufer der Marke New Labour zu werden. No way, er bleibt der Mann fürs Ernste.

Alle, die Brown näher kennen, beschreiben ihn als Asketen, der vielleicht besser ins viktorianische Zeitalter gepasst hätte: Pflichtgefühl, Ehrlichkeit, harte Arbeit, Moral, das sind die Werte, die er in seiner Rede beschwört. „Wir brauchen eine Seele“, ruft er und erinnert an seinen Vater, einen Pfarrer der Church of Scotland. Den habe nicht etwa ideologischer Eifer getrieben, sondern menschliches Mitgefühl – das sei die Tradition, in der auch er stehe. (Frank Herrmann aus Manchester/DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2006)