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Zur Person
Oliver Stone (60) diente in Vietnam, eine Zeit, die er auch in drei Filmen (darunter "Platoon") thematisierte. Seine oft polemischen Filme über die jüngere US-Geschichte ("JFK", "Nixon") bewirkten zum Teil heftige Kontroversen.

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Der Tag, an dem die Trümmer vom Himmel fielen: Oliver Stones 9/11-Drama "World Trade Center".

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Standard: Für "World Trade Center" ernteten Sie von allen politischen Lagern Zustimmung. Macht Sie das nicht skeptisch?

Oliver Stone: Ich bin eigentlich sehr froh darüber, dass so unterschiedliche Leute den Film schätzen. Filme sind für mich eine Sache des Herzens. Und manchmal gelingt es, politische Lager zu durchkreuzen. Das war schon bei Platoon so, den sowohl Linke wie Rechte mochten. Ich habe stets gesagt, dass ich keine politischen Filme mache. Ich sehe mich als Dramatiker, der sich mit menschlichen Themen auseinandersetzt.

Standard: Steht deshalb das Drama des Überlebens im Vordergrund des Films?

Stone: Es gab an diesem Tag 20 Überlebende und 3000 Tote - ein wahres Schlamassel. Der Film thematisiert insofern die Ausnahme von der Regel. Andererseits würden wir sehr viel weniger wissen, hätten diese 20 nicht überlebt. Der Film erzählt ihre Geschichte. Da mussten wir uns auch nicht zurückhalten. Natürlich drangen wir nicht zum Kern des Leidens dieser Menschen vor. Das kann kein Publikum ertragen. Der Schmerz, die Trauer wären zu groß gewesen.

Standard:Der Film beschränkt sich fast auf die Wahrnehmung der Helden. Das größere Umfeld, die Welle der Solidarität, die durch New York ging, kommen dagegen kaum vor.

Stone: Denken Sie an Platoon, das war ein ähnlicher Fall: Es gab Apocalypse Now, The Deer Hunter, Coming Home, Rambo, groß produzierte Filme über den Vietnamkrieg. Platoon bewirkte so viel, weil er sich einen kleinen Rahmen steckte - es war ein Versuch, der Realität nahe zu kommen, als ob man sich selbst im Untergrund befindet. Das ist in World Trade Center ganz ähnlich: Hier haben wir das Privileg, in die Wahrnehmung der Cops John und Will einzutauchen, weil sie wie durch ein Wunder überlebt haben. Der Film zeigt etwa, wie es ist, drinnen zu sein. Ich habe nie gesagt, das sei die definitive Seite der Geschichte - die gibt es gar nicht.

Standard: Hat Sie keine politischere Lesart von 9/11 gereizt? Es gibt ja zahlreiche Verschwörungstheorien darüber.

Stone: Damit habe ich mich nicht auseinandergesetzt. In diesem Fall kam das Skript zum Film zu mir, und zwar bereits 2004. Es war eine sehr kurze Geschichte, eine Art Mikrokosmos von 2001. Ich sprang sofort darauf an und dachte, dass sie eine unglaubliche Grundlage für einen Film wäre - eben nur über fünf Menschen. Es geht um einen Zeitraum von 24 Stunden, nicht mehr. Wo könnte die Politik da eindringen? Ich sehe keinen Platz für Verschwörungstheorien. Für John und Will war es ein Unfall. Nicht viel anders als die Bombe von 1993. John dachte überhaupt erst bei der zweiten Explosion an so etwas wie Terrorismus.

Politische Standpunkte werden von Dave Karnes, dem Marine, geäußert. Das Erste, was er im Film sagt, ist: "Ihr werdet es vielleicht noch nicht bemerkt haben, aber wir befinden uns im Krieg." Das ist seine Meinung nach dem zweiten Einschlag. Sein letzter Satz im Film lautet: "Wir müssen uns dafür rächen." Er ging dann auch in den Irak.

Standard: Stimmen Sie mit seiner Ansicht überein?

Stone: Wie viele Amerikaner fühlte ich großen Zorn und den Wunsch nach Vergeltung. Ich wäre auch nach Afghanistan gegangen, wenn ich gekonnt hätte. Ich empfand den Krieg in Afghanistan als richtigen Zug, ganz im Unterschied zu dem im Irak. Das ist ein falscher Krieg, so wie Vietnam ein falscher Krieg war. Aber es wäre nicht klug von mir gewesen, meine politische Position in diesem Film stark hervorzustreichen. Es gibt eine Montage, mit der wir internationale Reaktionen einfangen, auch eine arabische. Am 12. September gab es viel Mitleid für Amerika.

Standard: Diese Empathie hielt aber nicht allzu lange an. Die USA wurden heftig kritisiert. Wäre in dieser internationalen Allianz nicht eine Chance von 9/11 gelegen, die verpasst wurde?

Stone: Im Sinne der Veränderung von Geschichte? Ja. Aber das hängt auch mit der Wahl von 2000 zusammen. Wenn Al Gore im Amt gewesen wäre, hätten wir eine viel moderatere Antwort auf 9/11 gegeben. Es war ein Moment, bei dem man Erfahrung haben musste und nicht den Kopf verlieren durfte. 9/11 wurde von der Regierung politisiert, sehr schnell sogar. Alles veränderte sich. Die Antwort glich insgesamt einer Überreaktion der schlimmsten Sorte.

Standard: Welche Rolle hat für Sie das Kino in solchen politischen Zusammenhängen? Hat sich nach 9/11 nicht auch die Bilderpolitik verändert?

Stone: Ich hab drei Filme über den Vietnamkrieg gemacht. Nun das gesamte US-Bewusstsein wieder in die Bereitschaft zum Krieg übergehen zu sehen deprimierte mich. Pearl Harbor kam heraus, Black Hawk Down folgte - es gab im Kino diese Tendenz in Richtung Angst und Schrecken, was die Militärmaschine betrifft. Black Hawk Down war in dieser Hinsicht sehr schädlich. Er hat es wieder möglich gemacht, an die Militärmaschine zu glauben. Nach Vietnam war es traurig, diesen Marsch Richtung Krieg mitzuverfolgen. Ich dachte, das hatte ich alles schon erlebt.

Standard:Was sagen Sie dann dazu, dass die PR-Firma Creative Response Agency, die im letzten Wahlkampf die Vietnam-Zeit von John Kerry zu diskreditieren versucht hat, für die Werbekampagne des Films engagiert wurde?

Stone: Sie sprechen über diese "Swift Boat"-Affäre & Ich wusste nichts davon, bis mich die New York Times anriefen. Wir wollten mit diesem Film immer die Basis erreichen: Christen, Hispanics, Polizei- und Feuerwehrabteilungen & Wir führten eine "Grassroots"-Kampagne, zeigten den Film 50-, 100-mal quer durch das Land. So bildet sich Mundpropaganda. Ich verurteile die "Swift Boat"-Kampagne und fand schrecklich, was mit Kerry gemacht wurde. Aber es gibt eben auch sehr viele PR-Firmen, die sich der verschiedensten Dinge annehmen. In JFK hatten wir einen Berater von Bobby Kennedy, der sehr hilfreich war. Später fand ich heraus, dass er auch für einen Tabakkonzern arbeitete.

(Mit Oliver Stone sprach Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Printausgabe, 27.9.2006)