ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch hat es - eher unbewusst - auf den politischen Punkt gebracht. Von Generalstreik wolle er nicht sprechen: "Ein Generalstreik ist nur gerechtfertigt, wenn die Demokratie in Gefahr ist." Daher werde am 28. Juni nicht generalgestreikt, sondern (nur) ein Aktionstag abgehalten. Diese Aussagen zeigen ein gespaltenes Rollenverständnis der Gewerkschaftsführung: Gestern noch Teil der faktischen Gesetzgebung "Sozialpartnerschaft" - heute politischer Widerpart einer ungeliebten parlamentarischen Mehrheit. Da verkürzt sich der Streik zum politischen Instrument außerparlamentarischer Opposition. Jeder Streik, also auch ein Warnstreik - und um nichts anders handelt es sich wohl beim heutigen Aktionstag - setzt nämlich zumindest ein klar definiertes gewerkschaftliches Streikziel voraus.

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Selbst für einen aufmerksamen politischen Beobachter verschwimmen aber diesmal die gewerkschaftliche Ziele im Nebel. Die von führenden Gewerkschaftern angebotene Palette reicht nämlich von der Anhebung des Frühpensionsalters der Eisenbahner einschließlich der ASVG-Pläne der Bundesregierung, über den evidenten Mangel an Kinderbetreuungsplätzen und die deutliche Steigerung der Energiepreise bis zur Belastungswelle an und für sich. All dies durchaus kontroversiell diskutierbare Themen - aber deswegen auch schon Streikziele? Und bei Erreichung welches dieser Ziele werden die gewerkschaftlichen Maßnahmen einzustellen sein? Mit anderen Worten formuliert: Der so genannte Aktionstag zielt auf eine Gesamtänderung der Regierungspolitik und stellt damit den untauglichen Versuch dar, mit gewerkschaftlichen Drohgebärden einen Regierungswechsel zu erzwingen. Damit wird aber diesem und möglicherweise auch künftigen Streiks ihre eigentliche Legitimität entzogen, dem Anspruch freier und überparteilicher Gewerkschaften geschadet. Oder sollte den führenden Gewerkschaftern diese Selbstgefährdung ihrer Anliegen doch bewusst sein und daher ein Aktionstag inszeniert worden sein, der den Mitgliedern als Streik und der Bevölkerung als Informationsveranstaltung verkauft wird? Dr. Volker Kier war bis Oktober '99 NR-Abgeordneter und Verfassungssprecher des Liberalen Forums.