Für Mamas liebevolle Umarmung würde man alles tun - Tätowierung natürlich inbegriffen ...

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Wien - Da muss eine Mutter Verdacht schöpfen: Nicht nur, dass Sohnemann, der sonst gierig seinen Teller leer schlemmt, nunmehr nach wenigen Bissen gesättigt ist - nein, auch die Ohren sind auf einmal sauber, die karierten Hemden gebügelt, der Kragen lugt ordentlich unter dem Pullover hervor, und anstatt wild durchs Haus zu toben, schleicht der frühere Frechdachs nun brav zur Bibliothek. Fans von Malcolm mittendrin wissen, worum es hier geht. Dewey betrügt Lois mit einer anderen Mom.

Was darauf folgt, ist ein Machtspiel: Lois überreicht nun dem kleinen Betrüger sein Pausenpaket kühl und distanziert, gekränkt und mit bissigen Kommentaren, Dewey hingegen sinnt voll Demut nach Wiedergutmachung. Die Symbiose Eltern/Kind erfordert Opfer. Im Falle Deweys ist dies eine flächendeckende Brustkorbtätowierung: "Lois is my Mother" - damit die Abhängigkeitsverhältnisse ein für allemal klar sind. Doch mit der Zeit lernt der tüchtige Sohn, seine Jausenbrote selbst zu streichen, und die elterliche Vorherrschaft scheint sich zurückzuziehen.

Eigene Wohnung, Verantwortung und Unabhängigkeit sind verlockende Schlagwörter, frisch gekochtes Essen und automatisch gewaschene und gebügelte Wäsche von Mama dagegen auch ganz angenehm. Viktoria Wagner (19) hat sich gegen "Pension Mama" und für die eigene Wohnung in Wien entschieden. Im Waldviertel aufgewachsen, bedeutet das für sie, nicht ganz regelmäßige Besuche daheim abzustatten. Das Verhältnis zu ihren Eltern bezeichnet sie als an sich gut, allerdings etwas kompliziert. "Meine Eltern müssen sich erst noch bewusst werden, dass ich schon vor einem Jahr ausgezogen bin", erzählt sie von ihrer Familie, die offenkundig noch nicht loslassen möchte. Finanziell von ihnen unterstützt, merkt die Germanistikstudentin, dass es ihre Eltern "schon gern haben, dass ich doch noch von ihnen abhängig bin".

Rudolf Richter vom Institut für Soziologie in Wien hat seinen Forschungsschwerpunkt in die Familiensoziologie gelegt. Aus Deutschland kennt er Untersuchungen, dass Eltern "sehr froh wären, wenn ihre Kinder früher ausziehen. Es ist keineswegs so, dass die Eltern sich unbedingt binden wollen." Problematisch sei eine Zeitspanne, in der die Kinder immer wieder aus- und einziehen und ihr Zimmer daheim stets behalten: "Das ist belastend." Andererseits gebe es durchaus die Mütter, die "traurig sind, wenn der Sohn die Wäsche nicht zum Waschen heimbringt", sagt Richter. Vergleichsstudien aus Österreich gibt es bisher keine.

Eltern-Kind-Beziehungen wären seit den 68ern letztlich generell "freundschaftlicher" geworden, gleichberechtigter. "Was man früher so extrem als Generationenkonflikt bezeichnet hat, beobachten wir in den letzten Jahren seltener." Das verursache unter anderem eine bessere Wohnsituation, die "Kinder", können sich abschließen, Freunde empfangen, und "das wird von den Eltern meistens toleriert".

Unterschiedliche Welten

Auch Gerhard Klinger (29) entschloss sich, schon vor zehn Jahren, zwecks Studium für den Umzug von Parsdorf (OÖ) nach Wien. In den ersten Monaten neuer Selbstständigkeit fanden die Besuche im Elternhaus wöchentlich statt, erinnert sich der IBWL-Student zurück. Mit der Zeit wurde die Beziehung weniger intensiv. Heute ruft er seine Eltern etwa zweimal pro Woche an und besucht sie, wenn es sich "von der Zeit her" ausgeht. "Wenn ich in Wien ein Problem habe, muss ich sie anrufen, obwohl ich weiß, dass sie keine Lösung haben. Aber ich mache das, damit ich meinen Seelenfrieden habe", erklärt Klinger seine doch noch vorhandene emotionelle Abhängigkeit. Die Entfernung bezieht sich nicht nur auf die unterschiedlichen Lebensräume - schon seit Längerem leben sie in unterschiedlichen Welten. "Ich bin neidisch auf meinen Bruder, weil er in ihrer Welt lebt", gesteht er nach einer kurzen Pause.

Wirklich weit weg von daheim hat sich Stefanie Panzenböck (22) gewagt - die Studentin der Politikwissenschaften absolviert derzeit ein Auslandssemester in Sarajewo, Bosnien. Trotzdem unterhält sie eine sehr enge Beziehung zu ihrem Elternhaus. Von zu Hause erhält sie nicht nur finanzielle Unterstützung, sie kann sich mit Problemen jeglicher Art an die Familie wenden. "Meine Eltern finanzieren wirklich mein ganzes Studium", betont sie die Unterstützung, die sie erhält. Neben der Wohnung und den Studiengebühren bekommt sie auch monatlich Taschengeld. "Die einzige Vereinbarung ist, dass meine Eltern mir vertrauen können, dass ich das Geld nicht hinausschmeiße" - und dass sie nicht nur ordentlich studiert, sondern auch ihr Studium abschließt. "Aber darauf können sie sich verlassen", versichert Panzenböck. Dankbar ist die 22-Jährige, dass sie nicht unter dem Druck steht, in Mindeststudienzeit das Diplom machen zu müssen.

Sehr wohl elterlichen Druck verspürt Wagner: Recht unterschwellig gingen ihre Eltern dabei mit klassischen Argumenten à la "mit meinem Geld machst du, was wir dir sagen" vor. Um solche Hürden, die der sonst sehr innigen Verbindung im Weg stehen, zu beseitigen, hat Wagner nun begonnen, Teilzeit zu arbeiten. Kaffeehausbesuche mit Freundinnen kann sie jetzt ohne schlechtes Gewissen aus eigener Tasche bezahlen.

Finanzielle Abhängigkeit von den Eltern habe sich durch lange Studienzeiten intensiviert, meint Richter. Außerdem "überwiegen gerade im Bereich junger Erwachsener die prekären Beschäftigungsverhältnisse, das bedeutet geringes und unsicheres Einkommen". Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Studierende in Österreich "arbeiten gehen, um einen gewissen Lebensstandard erhalten zu können".

Panzenböck hält eher weniger von Nebenjobs des Geldes wegen. Ihre Eltern gehen dabei mit ihr d'accord. Die Sommerferien nützt die Tochter daher für berufsvorbereitende Praktika, die das Taschengeld aufbessern. Ein wenig neidisch ist sie nur auf Studienkollegen, die es tatsächlich schon während des Studiums schaffen, "in der Berufswelt Fuß zu fassen".

Derzeit findet eine Ausstellung mit dem Titel "Elternbilder - Eltern schaffen Wissenschaft!" in der neu renovierten Aula der Uni Wien statt. Uni-Ausstellung statt Sonntagsbesuch? Warum denn nicht? Beides ist gratis. Louise Beltzung, Isabella Hager, Réka Tercza, Josef C. Ladenhauf