"Neu, arg, tolle Quote": So beschreibt ORF-Unterhaltungschef Edgar Böhm den neuen "Stadl" mit Andy Borg (Bild).

Foto: ORF/Milenko Badzic
Der "Musikantenstadl" ist als Visitenkarte Österreichs, gelinde gesagt, umstritten. Viele Österreicherinnen und Österreicher schämen sich für das "massenwirksame Großphänomen", wie Andre Gingrich, Sozialanthropologe der Akademie der Wissenschaften, die – bisher gänzlich unerforschte – populäre Sendung bezeichnet.

Der "fremde Blick"

Die Kommission für Sozialanthropologie wandte für die Untersuchung der überregionalen Bedeutung der Sendung, ein bewährtes ethnologisches Prinzip an: den "fremden Blick". Die rumänische Forscherin Madalina Diaconu begab sich mit einer türkischen Kollegin zum Lokalaugenschein in Wiener Beisln und ein Pensionistenheim, doch dort lief der Stadl nicht. Die Fans waren ähnlich schwierig zu finden wie ein Mörder "weil keiner es gewesen sein will". Fündig wurden sie erst bei der Aufzeichnung. Dort wurde auch ohne Aufforderung geklatscht, geschunkelt und gesummt.

Entwarnung für Rumänien

Die Neoösterreicherin Diaconu kann für Rumänien Entwarnung geben: Niemand in ihrer Heimat, bis auf die deutschsprachige Minderheit, hat jemals vom "Musikantenstadl" gehört oder Interesse daran. Die Rumänen empfinden ihre eigene Volkskultur als sehr lebendig und "erwarten sich vom Westen eher Vorbilder in Stadtkultur".

Fünf Thesen

Der ORF hat für den quantitativen Teil der Studie "Alpine Popkultur im fremden Blick: Der Musikantenstadel im Lichte der Wissenschaften" Daten zur Verfügung gestellt. Aus der quantitativen Analyse destillierte Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang J. Fellner fünf Thesen heraus: "Musik ist international", wie viele amerikanische Touristen, die wegen "Sound of Music" Österreich besuchen, zeigen. Weiters zeigt sich "eine stabile Grundversorgung mit volkstümlicher Musik", die sich in 40 bespielten Hauptabenden pro Jahr im ORF widerspiegeln. "Der Musikantenstadel stirbt aus", ist These Nummer drei, weil seine Seher zu einem hohen Prozentsatz über 60 sind. Chancen bieten sich, wenn neue Konsumenten gewonnen und in der stetig länger dauernden Lebensphase, gehalten werden können. "Ohne Musikantenstadel kein Weltjournal" fasst er die TV-Wettbewerbsbedingungen zusammen. Die Marke ORF steht dabei "in schwieriger Beziehung" zum Gesamtversorgungsauftrag, wie es Fellner formuliert. Unterhaltung ist jedoch "eine soziale Klammer", bei der gemeinsame Werte stabilisierend wirken.

"Wer braucht den Musikantenstadl?"

Am Küniglberg sind die Verhältnisse geklärt: der Stadl resortiert zur Unterhaltung und so wurde die Podiumsdiskussion "Wer braucht den Musikantenstadl?" von der Kulturredakteurin Erna Cuesta geleitet. Dem neuesten Stand entspricht das nicht, denn die Grenzen zwischen Hochkultur und Massenkultur lösen sich auf, wie Andre Gingrich und Michael Weber, Musikwissenschafter der Uni Wien, unisono betonen.

Borg statt Moik

Hauptthema war natürlich der Relaunch des Stadls mit Borg statt Moik, von dem nur Letzterer enttäuscht war. "Neu, arg, tolle Quote", freut sich Edgar Böhm, Leiter der ORF Unterhaltungsabteilung, der selber nur wenige Stadl-Seher kennt. Die Leiterin der Markt- und Meinungsforschung des ORF, Hedwig Zehetner war trotz intensiver Recherche im Vorfeld überrascht von der Steigerung des Marktanteils bei den modernen Performern.

"Kein Hauch Ironie"

Stefan Weinberger, TV-Redakteur der "Krone" und Nicht-Stadl-Seher, berichtete von positiven Reaktionen. Für die Fans ist seiner Ansicht nach in der Berichterstattung "nicht ein Hauch von Ironie denkbar", was ein Kollege, der das Bühnenbild mit "Krippenromantik" umschrieb, umgehend am Sorgentelefon büßte. Wenn es um den Stadl geht, ist Witz, Spaß, Lebensfreude und allenfalls Selbstironie der Beteiligten erlaubt.

In Übereinstimmung mit dem Musikwissenschaftler Weber stellt Böhm auch klar, dass der Musikantenstadl keine Volksmusiksendung ist, sondern eine erfolgreiche Unterhaltungsshow. Auch wenn das viele peinlich finden. (aku/DER STANDARD, Printausgabe, 5.10.2006)