Die Ötztaler Alpen: 2002 flossen die Zungen von Similaun- und Niederferner (im Bild) noch zusammen. In 50 Jahren könnten beide Gletscher ganz verschwunden sein.

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Innsbruck - Setzt sich der Trend fort, könnten die Alpen 2050 bis auf wenige Gipfel jenseits von 4000 Metern in den Westalpen der Schweiz und Frankreichs eisfrei sein, prognostiziert der Schweizer Geograf Wilfried Häberli. Das Volumen der Gletscher würde nur noch zehn Prozent von heute ausmachen. Seit dem bisher letzten Gletscherhochstand von 1850 hat sich die im alpinen Eis gebundene Wassermenge fast halbiert.

In Innsbruck diskutierten Experten aus allen Alpenländern "The Water Balance of the Alps", über Gegenwart und Zukunft des alpinen Wassers. Der Innsbrucker Limnologe Roland Psenner, Kongressorganisator, unterstrich die einhellige Meinung der Teilnehmer, wonach sich die durch globale Erwärmung ausgelösten Prozesse in den Alpen verstärken und beschleunigen.

Starke Veränderungen gebe es bei den Niederschlagsmengen. Nicht, was die Durchschnittsmengen betrifft, sondern bei ihrer jahreszeitlichen und regionalen Verteilung. "In den Alpen werden die Winter immer feuchter und die Sommer immer trockener", sagt Psenner. Weil gleichzeitig die Schneefallgrenze steigt, verliert die Zwischenspeicherfunktion der Alpen an Bedeutung, die Wasser in Form von Schnee bis zu sechs Monate zurückgehalten hat. Diese Speicherzeit verkürzt sich im Frühjahr um bis zu zwei Monate. Deshalb kommt es dazu, dass die Schmelzhochwasserspitzen unterschiedlicher Höhenlagen gleichzeitig die tiefer liegenden Regionen bedrohen.

Mehrfach überflutet

In Rumänien wurden deshalb im Frühjahr weite Landstriche von der Donau mehrfach überflutet. Darum hat Rumänien alle Länder im Einzugsgebiet der Donau aufgefordert, sich über Maßnahmen, die Wasser zurückhalten, Gedanken zu machen, erklärt Karl Schwaiger, Wasserwirtschaftsleiter im Landwirtschaftsministerium: Österreich steuert zum Einzugsgebiet der Donau ein Zehntel der Fläche, aber ein Viertel des Wassers bei - "das zeigt, wo das Wasser herkommt".

Jenseits von 2500 Meter Höhe haben in den vergangenen Jahren Berg- und Felsstürze Schlagzeilen gemacht, die darauf zurückzuführen sind, dass sich der Permafrost auflöst. Dabei schmilzt das eingelagerte Eis, das viele Feldhänge und Berggipfel bisher zusammengehalten hat. Der Zerfall des Permafrosts geht deutlich langsamer vor sich, als jener der Gletscher, ist aber genauso unaufhaltsam, sagt Häberli. Auf dem Sonnblick in 3100 Meter drohte bereits vor einigen Jahren ein Absturz des Gipfels samt der 120 Jahre alten Wetterstation. Waren hier noch vor wenigen Jahren 90 Prozent des Niederschlags als Schnee gefallen, sind es jetzt nur noch 70. Damit der Regen nicht weiter in den Fels eindringen kann, wurde der Sonnblickgipfel 2004 aufwändig mit einem Korsett aus Beton und Stahl gesichert.

Keine Einigung erzielten die Experten in Innsbruck in der Frage, wie alpine Wasserressourcen am besten zu schützen seien. Das Gros meint, die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) mit ihrem Verschlechterungsverbot und ihrer Ausrichtung an Flussgebietseinheiten, biete genügend Anhaltspunkte. Eine Minderheit fordert hingegen die Ausarbeitung eines Wasserprotokolls im Rahmen der Alpenkonvention und verweist darauf, dass die WRRL mit ihrer EU-weiten Ausrichtung auf die alpinen Besonderheiten (etwa die Gletscher), nicht ausreichend eingehe. (Hannes Schlosser/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 10. 2006)