Werner Herzog hat über das Werk von Ulrich Seidl einmal gesagt, noch nie habe er im Kino so direkt in die Hölle geschaut. Die Aussage trifft auf Good News: Von Kolporteuren, toten Hunden und anderen Wienern (1990), Seidls ersten großen Film, in besonderem Maße zu. Der österreichische Regisseur dokumentiert einerseits die miesen Arbeitsbedingungen von Zeitungsverkäufern: Immigranten aus Indien, Ägypten, Pakistan und der Türkei, allesamt der deutschen Sprache nicht mächtig, die täglich die Boulevardblätter Krone und Kurier an die Millionenleserschaft bringen.

 

Bei Schnee und Regen stehen die Männer frühmorgens an den Einfallstraßen in die City, bieten zwischen Autokolonnen mit einem stereotypen „Guten Morgen. Grüß Gott. Danke schön“ zu einem Hungerlohn die neuesten Nachrichten an und ruinieren in dem Lärm und Gestank ihre Gesundheit.

Den Aufzeichnungen von „ganz unten“ stellt der umstrittene Autor andererseits subtile Porträts von Leserinnen und Lesern der streckenweise populistischen Blätter gegenüber. Er lässt Zeitungskonsumenten vor der Kamera Meldungen aus der Abteilung Unglücksfälle und Verbrechen zitieren, sich von einem Leser durch eine Wohnlandschaft führen, die von einem gleichermaßen banalen wie trostlosen Leben zeugt, und in vermeintliche Schrebergartenidyllen entführen.

In starren Totalen inszeniert, beobachtet Seidl ein Kernstück österreichischen Alltags, ohne die Protagonisten dabei auszustellen oder der Lächerlichkeit preiszugeben. Aussage – und das ist die herausragende Qualität des mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichneten Werks – stellt sich nicht über einen Off-Kommentar her; die Hölle entsteht vielmehr durch die raffinierteMontage, in der die Parallelwelten in Bezug zueinander gebracht werden.

Besonders eindrücklich funktioniert das Prinzip etwa in der Mitte des Films, wo zuerst eine Pensionistin über die drohende Bevölkerungsexplosion spricht, dann Männer beim Beten in der Moschee zu sehen sind und schließlich ein Schäferhund, der vom Tierarzt eingeschläfert wird. Durch zwei Schnitte getrennt, zwingt Seidl in dieser Sequenz gesellschaftliche Randgruppen – die Alten, die Immigranten – zu einer Komplizenschaft wider Willen und legt so den tödlichen Zynismus des Systems offen. Good News verbindet die Sozialrecherche eines Günter Wallraff mit der Herrschaftsanalyse einer Ingeborg Bachmann, und was uns aus den Bildern entgegenschlägt, ist der alltägliche Faschismus. Messerscharf in der Wahrnehmung und eiskalt in der visuellen Umsetzung zeichnet Seidl das Porträt eines Landes, das sich nach dem Fall der Berliner Mauer, im Angesicht der Erweiterung Europas in den Osten, gegen das Fremde wappnet – im Weltbild bestärkt und aufgeheizt von Medienerzeugnissen, die vorhandene Ängste und Verunsicherungen schamlos zu ihren Gunsten ausnützen.

Nicole Hess, Dr. phil., freischaffende Filmkritikerin und –publizistin in Zürich