Foto: Der Standard
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Drei Damen sitzen in einer Rostlaube und lassen sich von einem mongolischen Fahrer, der eigentlich Koch ist und den Führerschein um eine Flasche Rotwein und eine Portion Schaschlik erwarb, 2000 Kilometer durchs wilde Kirgisistan chauffieren. Über Stock und Stein, über verschneite Pässe und zu sagenumwobenen Seen wie den Issyk-Köl, der als Heiligtum verehrt wird und seinerzeit von Sowjetbonzen zum Zwecke des Müßiggangs belagert wurde. Das Trio ist auf der Suche nach Shyrdaks. So werden keine tolldreisten Fabelwesen genannt, sondern farbenfrohe, traditionelle Filzteppiche. Zu finden sind diese in kirgisischen Stuben und Jurten, wo auch unsere drei Damen zu Gast sind, während sich der Kilometerzähler ausruhen darf. Ein Tal weiter wird zur selben Zeit ein Mafiaboss inklusive Schießerei hoppgenommen. Klingt doch wie ein Drehbuch zu einer schrägen Komödie. Der Titel könnte lauten "Picknick in Tokmok".

Die drei Frauen gibt's allerdings so wahrhaftig wie die Berggipfel in dem kleinen Land Zentralasiens, die zum Teil 7000 Meter gen Himmel ragen. Und "Picknick in Tokmok" benamst einen Verein rund um diese drei unternehmungslustigen Ausstellungsmacherinnen, die da wären: Lilli Brunialti, Textil-Designerin, Ursula Meyer, Grafik-Designerin, und Evelyn Rainer, Ethnologin. Der Verein setzt sich für den Erhalt und die Förderung des traditionellen Kunsthandwerks ehemaliger Staaten der Sowjetunion mit besonderer Rücksicht auf Frau und Umwelt ein.

Auch das Picknick fand wirklich statt, allerdings ungeplant. Der kochende Kühler des Autos sowie der einstmals kochende Fahrer desselbigen gönnten sich eine Verschnaufpause, während Letzterer die Abenteuerlust seiner Fahrgäste mit Meldungen wie dieser anheizte: "Nur ein betrunkener Kirgise fährt geradeaus." Die Kunst des Geradeausfahrens sei aber, so Lilli Brunialti, angesichts der ausgeprägten Kurvenlandschaft in Kirgistan auch gar nicht besonders gefragt.

Die beste Hochgebirgswolle der Welt

Doch nun Schluss mit Abenteuern und hin zu Geschichten, die der Shyrdak erzählt. Dieser wird weder gewoben noch geknüpft, sondern aus der Wolle des Bergschafs gefilzt. Es wird behauptet, die Hochgebirgswolle aus dieser Gegend sei eine der besten der Welt. Ursache dafür ist das trockenen Klima, in welchem die dortigen Hirten ihre Schäfchen zählen. Ist das Tierhaar geschoren, ordentlich verworren und somit zum Filz geworden, werden zwei zweilagige, gefärbte Matten übereinandergelegt und die bedeutungsvollen Muster herausgeschnitten. Diese werden sodann mittels so genanntem Doppelzopfstich verbunden und auf ein Stück ungefärbten Filz genäht. Die Ornamente zeigen stilisierte Tierhörner, schneebedeckte Berggipfel, kristalline Formen, fantastische Traumdarstellungen, Krähenklauen, Hundeschwänze oder Blumengeflecht. Ein ebenfalls typisches Motiv, jenes der Flasche, steht für den Wunsch nach Wohlstand. Die Interpretationshoheit liegt freilich beim Betrachter und lässt trotz der Klarheit der Ornamentik auch viele andere Spielräume zu.

Der Shyrdak zeigt klar umrissene, voneinander farblich abgegrenzte Muster. Stark beeinflusst wird das Design von der mächtigen Landschaft und den alten Legenden dieses Landes. Jeder Teppich wird zum Unikat, jedes Stück erzählt seine Geschichte. Jede Familie - der Shyrdak hat eine lange Tradition als Brautgeschenk - und jede Filzmeisterin prägt dabei ihre ganz eigene Formensprache.

Die Shyrdakwerdung umfasst neben großer Geduld und fitzeliger Arbeit einen ganzen Jahreszyklus, so lange dauert es, bis die Tierchen im Frühjahr geschoren, deren Haare im Sommer verwirrt und verfilzt, im Herbst gefärbt (teilweise mittels Nuss, Zwiebel, Tee und Kräutern) und sodann gefertigt werden.

Eine rare Kollektion von circa 40 Shyrdaks in allerlei Größen zeigt die Schau "Paradiesisch Kirgisisch" in der Wiener Innenstadt. Ebenfalls zu sehen sind 17 Pouffs aus Filz sowie handgewebte Seidenschals aus Usbekistan. Die Preise für die Teppiche bewegen sich zwischen 700 und 2500 Euro. Abgerundet wird die Ausstellung durch Filme, Vorträge und kulinarische Abende. Kleiner Hinweis für Besuchswillige: Natürlich dürfen die kostbaren Stücke niemals mit Straßenschuhen betreten werden. (Michael Hausenblas/Der Standard/Rondo/13/10/2006)