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Foto: APA/EPA/Tolga Bozoglu
Gehasst, verehrt - ausgezeichnet: Entfernt erinnert die Vergabe des Literaturnobelpreises 2006 an den türkischen Romancier Orhan Pamuk an jene vor zwei Jahren, als Elfriede Jelinek diese höchste Auszeichnung erhielt, die man sich als Autor erschreiben kann. Unbequem zu sein sticht bei der altehrwürdigen Jury neuerdings offenbar als Trumpfkarte. Freilich zieht Pamuks Werk, vor allem jedoch seine politische Verfolgung in der Türkei viel weitere Kreise.

Sogar die USA meldeten sich zu Wort und hoben schützend die Hand über Pamuk, als dieser 2005 in seiner Heimat wegen Kritik am türkischen Nationalismus angeklagt wurde. In einem Interview hatte er offen über den Massenmord in Armenien 1915 gesprochen. Seit den auf dem Fuße folgenden Auseinandersetzungen hat sich sein Name von seinem sieben Romane umfassenden Werk abgekoppelt.

Pamuk war nicht immer politisch. 1952 als Sohn eines Industriellen in gutbürgerliche Istanbuler Verhältnisse geboren, studierte er zu einer Zeit, als viele seiner Kollegen vom Marxismus geprägt waren. Er hielt sich lieber heraus, verbrachte seine Zeit stattdessen mit Nabokov, Faulkner oder Proust. "Ich musste mitansehen, wie viele gute Autoren ihr Talent der Politik opferten", sagte er später. "Also entschied ich mich zunächst dafür, die Politik zu meiden."

In den 80er-Jahren lebte Pamuk einige Zeit in New York und verschlang die (post-)modernen Klassiker Borges, Calvino und Pynchon. Dadurch begann er, die türkische Tradition mit anderen Augen zu sehen. Sein Stil wandelte sich, wurde verspielter, provokanter, erfolgreicher. Von westlich orientierten Türken wird er dafür schon länger verehrt.

Die Popularität seiner Romane "Das schwarze Buch" oder "Schnee" und weitere Reisen brachten ihn schließlich dazu, sich auch näher mit den politischen Verhältnissen in der Türkei zu befassen. Konservative islamische Kräfte werfen ihm vor, die Heimat wie ein Fremder zu betrachten und sie dadurch zu verraten. Von Nestbeschmutzertum ist Pamuk freilich weit entfernt.

"Ich bin stolz darauf, ein Türke zu sein", gab er dem "Spiegel" zu Protokoll. Im west-östlichen Schmelztiegel Istanbul zu Hause, möchte er dazu beitragen, die Türkei weiter zu demokratisieren und Brücken zwischen Orient und Okzident zu bauen. Was momentan noch weit spannender erscheint als Pamuks Haltung der Türkei gegenüber, ist, wie man dort auf seine hohe Auszeichnung reagieren wird: Weiter Ablehnung oder doch Umarmung durch die Politik?

So oder so will der Ausgezeichnete der Stadt Istanbul die Treue halten. War es doch "Der Blick aus meinem Fenster" (so heißt sein jüngstes Buch), mit dem er sich von seinem geliebten Arbeitszimmer aus in die Welt hineingeschrieben hat - um seine Heimat mit anderen Augen zu sehen. (Sebastian Fasthuber/DER STANDARD, Printausgabe, 13.10.2006)