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Zur Person
Antonella Mei-Pochtler ist Senior-Partnerin von BCG in Wien.

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Sieben Jahre nach der Finanzkrise ist Russland im S&P-Rating um acht Stufen auf BBB geklettert - und nur noch sieben Stufen von der Bestnote (und den USA) entfernt: Mit einem BIP-Wachstum von 6,4 Prozent übertrifft die Energie-Supermacht mit mehr als 145 Millionen Einwohnern und 100 Nationalitäten die EU und die USA. Der ökonomischen Aufholjagd steht aber eine bestürzende politische Ratlosigkeit gegenüber: Während die deutsche Kanzlerin das freundliche Gespräch mit Putin pflegte, reagierte die Weltöffentlichkeit mit einem Aufschrei des Abscheus auf den Mord an der kritischen Journalistin Politkowskaja. Während der Westen Putins zunehmende Repression beklagt, verwahrt sich Vize-Außenminister Titow gegen die "Dämonisierung".

Russland, das ist Krieg und Frieden - Licht und Schatten:

1. Die Verführung der Konsumenten: Der durchschnittliche Monatslohn hat sich von 22 Dollar 1992 auf 302 Dollar 2005 vervierzehnfacht. Der Einzelhandel wächst seit 2000 mit jährlich zehn bis 15 Prozent; in den Großstädten entwickelt sich eine Konsumgesellschaft, die mittelfristig zu den Top Five der umsatzstärksten Märkte zählen wird. Beispiel Ikea: 1989 unterzeichneten Ikea-Gründer Kamprad und Premier Ryschkow den ersten Vertrag, elf Jahre später eröffnete Ikea das erste Möbelhaus vor Moskau, 2005 folgte das zweite. Mit sieben Millionen Kunden und 260 Mio. Dollar Umsatz zählen die Filialen zu den erfolgreichsten Märkten weltweit - trotz hoher Importgebühren.

Neben Konsumgütern sind es vor allem Infrastrukturinvestitionen, die westlichen Unternehmen Wachstumschancen eröffnen - siehe Sun Microsystems, die im Halbjahr mit 44 Prozent Umsatzplus kräftig daran partizipieren.

2. Die Verzweiflung an der Politik: Die neuralgischen Punkte sind nicht nur Menschenrechte und Meinungsfreiheit, sondern ebenso Armut, Korruption und staatliche Interventionen: Laut UNO leben mehr als 40 Prozent der russischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze; laut russischer Statistik liegt der Anteil bei höchstens 18 Prozent und: "Nicht einmal wir wissen es genau. Russland lässt sich mit anderen Ländern einfach nicht vergleichen", so das Gesundheitsministerium. Auf Platz 198 von 215 Nationen rangiert Russland in puncto "Sicherheit", im Korruptionsindex von TI auf Platz 126. Die durchschnittliche Bestechungssumme der Unternehmen hat sich in nur vier Jahren verdreizehnfacht. Noch gravierender wirkt sich - laut OECD - die zunehmende Intervention in die Wirtschaft aus, ob im Falle Chodorowski, im Streit mit der Ukraine oder mit Georgien.

3. Der Realismus der Wirtschaft: Den Widrigkeiten zum Trotz: Allein im ersten Halbjahr 2006 stieg der Außenhandelsumsatz um 27,6 Prozent auf 292,8 Mrd. Dollar mit einem Überschuss von 99 Mrd.; seit 2000 wachsen etwa die österreichischen Exporte - vor allem Maschinen und Anlagen - um 25 Prozent jährlich auf fast eine Milliarde im ersten Halbjahr 2006. Russland ist damit in die Top Ten der österreichischen Handelspartner aufgerückt. Wie in der Energieversorgung (Gasprom) führt auch in anderen Industrien bald kein Weg mehr an russischen Riesen vorbei - Lukoil oder Rusal, durch den Zusammenschluss mit Sual und der Schweizer Glencore Alumnium-Weltmarkführer.

Wirtschaftliche Rationalität in der Zusammenarbeit bedingt nicht automatisch Anerkennung politischer Positionen - im Gegenteil: Die Einbindung Russlands schafft einen Rahmen, in dem sich Differenzen unmissverständlich zum Ausdruck bringen lassen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15.10.2006)